Vorsicht vor eiligen Verallgemeinerungen. Die Betreiber der Essener Tafel sind nicht gleich ausländerfeindlich, nur weil sie darauf reagieren, dass alleinerziehende Mütter und ältere Menschen nicht mehr kommen, weil sie sich abgeschreckt fühlen von den vielen kräftigen und temperamentvollen jungen Ausländern, die neuerdings mit ihnen in der Schlange stehen und auf Lebensmittel warten.
In Essen sind drei von vier Besuchern der Tafeln inzwischen Ausländer, viele von ihnen Flüchtlinge. Hier sind sie im Kleinen zu beobachten: die der Immigration hunderttausender Menschen folgenden Verteilungskonflikte, die es nach den Beteuerungen der Politik nicht gibt, die in den Brennpunktvierteln der Städte aber natürlich längst Realität geworden sind. Die Tafel will aus Sorge um die vertrauten Altkunden, die sich einem schleichenden Verdrängungswettbewerb ausgesetzt sehen, zunächst nur noch Berechtigungsscheine an Deutsche ausgeben. Wer hier gleich die Rassismus-Keule schwingt, geht so weit an der Realität vorbei, dass es weh tut. Gefragt ist ein behutsamer Umgang mit einer zugegebenermaßen schwierigen Situation. Ressentiments gegenüber den neuen Mitbürgern mag es bisweilen geben, aber meist dominieren bei den Kunden der Tafeln andere Gefühle: der Ärger über das bisweilen vielleicht anmaßende Verhalten des einen oder anderen, die Angst, zurückgesetzt zu werden, zu kurz zu kommen, im härter werdenden Rangeln um ein paar Lebensmittel die eigene Würde zu verlieren. Sie ist manchmal das letzte, was armen Rentnern noch geblieben ist.
Diesen Menschen nun Moralpredigten zu halten, ist der sicherste Weg, der AfD noch mehr Leute in die Arme zu treiben. Lieber sollte sich die Politik fragen, ob es richtig ist, den Tafeln auch noch die Last der Flüchtlingshilfe aufzuhalsen.
Georg Anastasiadis
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