Die Krise der Sozialdemokratie

Wer kümmert sich?

von Redaktion

Die Erleichterung der SPD-Spitze über den klaren Ausgang der GroKo-Abstimmung mag es überdeckt haben: Aber der Sonntag war erneut ein schwarzer Tag für Mitte-Links-Parteien in Europa. Die italienischen Sozialdemokraten des Ex-Ministerpräsidenten Matteo Renzi reihen sich ein in die Krise der Schwesterparteien in Frankreich und den Niederlanden, aber auch in Deutschland, wo die SPD in Umfragen weit unter der historischen Blamage von 20,5 Prozent bei der September-Wahl liegt.

Wer die Ursachen analysiert, findet natürlich landesspezifische Gründe sowie wenig überzeugendes Spitzenpersonal – vom unglücklichen François Hollande über den überforderten Martin Schulz bis zum selbstgefälligen Matteo Renzi. Doch es gibt einen gemeinsamen Nenner: Große Teile der europäischen Linken haben das Gefühl dafür verloren, was ihre alte Klientel, Arbeiter, einfache Angestellte und Rentner, als ungerecht empfinden. Und selbst wenn in Deutschland die SPD richtige Inhalte vertritt, schafft sie es nicht, ihre Politik in verständliche Worte zu kleiden. „Sachgrundlose Befristung“. Was soll das sein?

Gerade der Streit um die Essener Tafel offenbart, wo das Kernproblem der Linken im Jahr 2018 liegt: Die akademisch geprägten Spitzenvertreter der Sozialdemokratie müssen ihre Haltung in Migrations- und Integrationsfragen überdenken. Statt auf gut verdienende Grünen-Wähler zu schielen, sollte sie auf Menschen achten, die sich mit ihren Alltagsproblemen nicht mehr repräsentiert fühlen. Es geht um bezahlbaren oder sozial geförderten Wohnraum in Städten, um einfache Jobs, Bildung, aber auch um Unterstützung für Rentner, Alleinerziehende und Arbeitslose. Natürlich sind nicht alle kursierenden Ängste berechtigt. Aber immer mehr Bürger glauben, der Staat kümmere sich viel um Migranten, aber wenig um Sicherheit und Gerechtigkeit in einer digitalisierten, globalisierten Gesellschaft. Die Populisten bieten zwar keine Lösungen, werden aber so lange von diesen Ängsten profitieren, bis die Volksparteien das Problem anpacken.

Mike Schier

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