München – Neue Abgeordnete lernen schon an ihrem ersten Arbeitstag in Berlin, dass Digitalisierung ein Versprechen aus der fernen Zukunft ist. Wenn sie in der Bundestagsverwaltung die Schlüssel zu ihren Büros abholen, speichern das die Verwaltungsmitarbeiter nicht im Computer ab. Sie zücken eine Karteikarte und spannen sie in die Schreibmaschine ein. In ein Bürogerät, das vor 210 Jahren erfunden wurde.
Das Klacken der Typenhebel, das Klingeln des Wagenrücklaufs – klar, das hat was. Das Beispiel zeigt aber, dass es ein weiter Weg ist bis zu einem „starken Digitalland“, wie es sich die neue Bundesregierung im Koalitionsvertrag wünscht. Und dass hinter dem Begriff „Digitalisierung“ mehr steckt als der Ausbau von Mobilfunknetzen. Es geht um einen Wandel in allen Lebensbereichen – vom Internetempfang über selbstfahrende Autos bis eben hin zur Schlüsselausgabe in der Bundestagsverwaltung.
Im Vergleich mit anderen Ländern gibt es Aufholbedarf. „Wir müssen aufpassen, dass wir den Anschluss nicht verpassen“, mahnt der Münchner Grünen-Abgeordnete Dieter Janecek. „Das wird zum Standortnachteil.“ Verdeutlichen lässt sich das Problem dann doch wieder beim schnellen Internet: In einem Report dazu landet Deutschland hinter Südkorea, Norwegen, Schweden, Hongkong und vielen anderen Ländern auf Platz 25. Und während es in Österreich auf beinahe jedem Gipfel und in jedem Tal guten Handyempfang gibt, fällt die Datenrate beim Überqueren der Grenze ab.
In der neuen Bundesregierung soll sich Dorothee Bär (CSU) um Verbesserungen kümmern. Ihre Stelle als Digital-Staatsministerin ist eine Neukreation zur Koordinierung des Riesenprojekts Digitalisierung, das auf mehrere Ministerien aufgeteilt ist. Bärs Aufgabe wird weniger das Vorantreiben konkreter Projekte sein, da ihr dafür sowohl ein Beamtenapparat als auch das Milliardenbudget fehlen. Sie soll sich um die Entwicklung von Zukunftsvisionen kümmern: Wie man die Erfassung von Daten für medizinische Diagnosen nutzen kann. Wie die Industrie mit immer größeren Datenbergen umgeht. Und wie die Sicherheit der IT gewährleistet wird.
Dass dabei der Grat zwischen Vision und Spott ziemlich klein ist, erlebt Bär noch vor Amtsantritt. Im Interview mit dem ZDF erzählte sie in dieser Woche begeistert von den Fragestellungen der Zukunft: Ob man vielleicht die Möglichkeit bekomme, „mit einem Flugtaxi durch die Gegend zu fahren“. Die Aufregung in den sozialen Netzwerken ist seitdem riesig. Die Staatsministerin spricht von fliegenden Taxis, während in vielen Dörfern die Internetverbindung miserabel ist – haha.
Solche Reaktionen zeigen auch, dass es Bär nicht leicht haben wird. Überhaupt steht die Staatsministerin unter Beobachtung: Immerhin war sie vier Jahre lang Staatssekretärin im Verkehrsministerium von Alexander Dobrindt (CSU), das für den Breitbandausbau zuständig war. Es gab zwar milliardenschwere Fördertöpfe, es ging aber wenig voran. Experten sagen, zu viel Bürokratie hemmte den Ausbau.
„Die Erfolgsbilanz von Herrn Dobrindt ist eher bescheiden“, sagt der Grünen-Abgeordnete Janecek dazu. „Dass sich die CSU mit dem Thema schmückt, ist bekannt. Die Frage ist, was rauskommt.“ Trotz allen Drucks dürfe man zudem nicht jeder Idee hinterherlaufen (Stichwort Flugtaxi), sondern müsse auch ethische Debatten führen, etwa beim Datenschutz. Als Janecek dazu unlängst im Zug zwischen München und Traunstein telefonierte, brach die Verbindung zwölf Mal ab. Kein Netz. Zumindest bei der Schlüsselausgabe in der Bundestagsverwaltung haben sie so ein Problem noch nicht.