Berlin – Andrea Nahles hat eine klare Marschroute ausgegeben: Um Minister zu werden, braucht es Teamfähigkeit. Die designierte SPD-Chefin und der künftige Vizekanzler, der bisherige Hamburger Regierungschef Olaf Scholz, brüten seit Tagen über einem schwierigen Personalpuzzle. Und mit der Teamfähigkeit fanden sie ein Vehikel, um den derzeit beliebtesten SPD-Politiker aus dem Bundeskabinett zu werfen. Sigmar Gabriel holt ein, dass er beide immer wieder vor den Kopf gestoßen hat.
Daher wird der Außenminister Gabriel in der neuen Großen Koalition durch den bisherigen Justizminister Heiko Maas ersetzt. Der ist zwar mit 51 Jahren sieben Jahre jünger und seine Freundin Natalia Wörner sorgte in der ARD-Reihe „Die Diplomatin“ für Aufsehen. Aber was ihn fachlich besser eignet, liegt noch im Dunkeln. Die vorher auch für das Außenamt gehandelte Katarina Barley soll Arbeitsministerin werden.
Zwar soll alles erst offiziell an diesem Freitag präsentiert werden, aber die SPD ist eine Partei, in der sich meist wenig geheim halten lässt. Während Kanzlerin Angela Merkel (CDU) ihre Liste fast bis zum Schluss unter Verschluss halten konnte und zum Beispiel mit Anja Karliczek als neuer Bildungsministerin überraschte, erinnert bei dem alten und neuen Koalitionspartner der so viel beschworene Neustart, die Erneuerung, viel an die alte SPD. Und es entsteht wieder der Eindruck, der gegenüber der so skeptischen Basis vermieden werden sollte: der eines Postengeschachers.
Scholz hatte am Sonntag mit besonders ernster Bestattermiene das Ergebnis von 66,02 Prozent Zustimmung der SPD-Mitglieder zur GroKo verkündet. Als sei es das schlimmste Übel für ihn, nun Vizekanzler und Bundesfinanzminister werden zu müssen. Diese Personalie war bereits seit Abschluss der Koalitionsverhandlungen klar. Aber Scholz will es erst heute offiziell mitteilen.
Bei dem Puzzle gibt es eine große Überraschung: Franziska Giffey, die resolute Bezirksbürgermeisterin aus Berlin-Neukölln, die sich von arabischen Clans nicht einschüchtern lässt und wie ihr Vorgänger Heinz Buschkowsky das deutsche Grundgesetz zur Richtschnur allen Handelns hochhält, soll Bundesfamilienministerin werden. Zwar führt sie einen West-Bezirk, stammt aber aus Frankfurt/Oder. Gemäß der SPD-Proporzregelungen soll sie den Osten repräsentieren – wo sich die Existenz der SPD entscheiden wird: 14,3 Prozent errang die SPD in den ostdeutschen Ländern bei der Bundestagswahl – die AfD 22,5 Prozent.
Der gescheiterte SPD-Kanzlerkandidat von 2013, Peer Steinbrück, hat gerade eine Streitschrift mit dem Titel „Das Elend der Sozialdemokratie“ vorgelegt. Neben fehlenden Antworten auf einen „globalisierten Kapitalismus, der in seiner Dynamik heute über alles hinwegfegt“, reibe sich die SPD bei „Personalbesetzungen nach Regional-, Flügel- und Geschlechterproporz“ auf, kritisiert er.
Und in der Tat, während die Grünen mit der Berufung der beiden Realos Annalena Baerbock und Robert Habeck ihr Besetzungsdogma nach Flügelzugehörigkeit überwunden haben, hakte es bei dem SPD-Puzzle lange Zeit wegen des Problems NRW. Der größte Landesverband muss ein Ministerium bekommen, Umweltministerin Barbara Hendricks, 65, sollte weichen.
Aber im Gegensatz zur niedersächsischen Talentschmiede mangelt es dort an Top-Kandidaten. So soll nun die etwas jüngere frühere NRW-Forschungsministerin Svenja Schulze (49) das Amt übernehmen. Aber der lastet diese Geschichte mit den Atomkügelchen an. 2285 Brennelemente-Kugeln waren angeblich im Versuchsreaktor Jülich verschwunden, was viel Aufregung auslöste. Aber es handelte sich am Ende nur um ein Kommunikationsdebakel, es fehlten keine Kugeln. Die SPD und die Kommunikation – ein besonderes Thema. Georg Ismar