Rom – „In dieser Stunde ist Verantwortungsgefühl für das Gemeinwohl des Landes gefragt“, äußerte sich gestern Staatspräsident Sergio Mattarella erstmals seit Bekanntgabe des amtlichen Endergebnisses. Die Interessen der Nation und seiner Bürger müssten nun in den Mittelpunkt aller Überlegungen gestellt werden. Es war nur ein kleiner Absatz in einer Rede zum Weltfrauentag – doch war schnell klar, an wen sich die verklausulierte Warnung des Staatschefs richtete.
Fünf Tage nach dem historischen Wahlsonntag, der die Bewegung „Fünf Sterne“ zur mit Abstand stärksten Partei machte und die Tektonik der italienischen Parteienlandschaft nachhaltig erschütterte, scheinen die Fronten völlig verhärtet. Es grassiert die wechselseitige Ausschließeritis: Keiner will mit keinem.
Für dieses Problem gibt es eine Reihe von Gründen. Da ist der beispiellose Absturz des regierenden Partito Democratico unter Parteichef Matteo Renzi. Noch nie seit Beginn der Republik 1948 hat das linke Lager zusammengenommen derart schlecht abgeschnitten; nicht mal 20 Prozent, das ist ein historisches Minimum. Entsprechend groß sind die Verwerfungen. Renzi hat zwar seinen Rücktritt erklärt, ist aber irgendwie immer noch da. Das erzürnt inzwischen selbst seine Getreuen, die sich vom erfolglosen Ex-Chef nicht länger die Hände in den anstehenden Verhandlungen binden lassen wollen. Der versucht hinter den Kulissen alles, um ein rechnerisch mögliches Bündnis mit den „Fünf Sternen“ im Keim zu ersticken und seine Partei auf Opposition einzuschwören. Noch trauen sich die wenigsten, offen zu widersprechen; doch gibt es inzwischen gewichtige Stimmen, so etwa Kulturminister Dario Franceschini, die eine Zusammenarbeit zumindest ausloten wollen, um Schlimmeres zu verhindern.
Das Problem: Die inhaltlichen Schnittmengen sind gering. So findet sich im Programm der Grillini die Forderung nach Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens. Die Sozialdemokraten lehnen das ab; auch eine Aufweichung der Haushaltsdisziplin und eine Verschärfung der Einwanderungspolitik ist mit ihnen nicht zu machen.
Vor allem in den beiden letzten Punkten gibt es erstaunliche Überschneidungen zwischen den „Fünf Sternen“ und der rechtsextremen Lega. Genau hier lauert die Gefahr. Luigi di Maio („Fünf Sterne“) zeigt sich für Gespräche nach allen Seiten offen.
Nach langem Schweigen hat sich nun auch der zweite große Wahlverlierer, Silvio Berlusconi, geäußert. Seine Forza Italia stürzte mit 14 Prozent auf ihr historisch schlechtestes Ergebnis ab und wurde von der Lega um Matteo Salvini überholt. „Ich bin nach wie vor Regisseur des rechten Lagers“, verkündete ein ungewohnt ernster Ex-Cavaliere per Videobotschaft. Er erwarte, dass sich nun alle an die vorher getroffenen Absprachen hielten. Die Mahnung dürfte in erster Linie an Matteo Salvini gerichtet sein, keine Sonderwege einzuschlagen. Doch ob der von den Wählern ausgemusterte Berlusconi weiter über die notwendige Autorität verfügt, um den Ehrgeiz Salvinis einzufangen, ist fraglich.
Bei den Getreuen der Forza Italia jedenfalls herrscht Katzenjammer. Einige sollen schon auf der Suche nach einer neuen politischen Heimat sein. Parteienwechsel während der Legislaturperiode sind im römischen Parlaments weit verbreitet. Rund 90 Abgeordnete und Senatoren waren es allein in den letzten fünf Jahren.
Rein rechnerisch gibt es derzeit zwei Varianten, die über eine ausreichende Mehrheit der Mandate in beiden Kammern verfügen würden, um zu regieren: die „Fünf Sterne“ mit den Sozialdemokraten oder eben mit der Lega. Am 23. März wird es spannend: Dann konstituieren sich beide Kammern des Parlaments, es müssen die Präsidenten gewählt werden. In den Hinterzimmern der Palazzi wird bereits verhandelt. Danach wird man erstmals abschätzen können, in welche Richtung sich die schwierige Mehrheitssuche bewegt.