London/Moskau – Großbritannien hat den russischen Präsidenten Wladimir Putin als Drahtzieher des Attentats auf den Ex-Doppelagenten Sergej Skripal bezichtigt. Die Entscheidung sei „höchstwahrscheinlich“ von Putin selbst getroffen worden, sagte der britische Außenminister Boris Johnson. Der Kreml wies die Vorwürfe zurück.
Unterdessen beschäftigte ein weiterer mysteriöser Fall die Anti-Terror-Polizei in Großbritannien: Der russische Kreml-Kritiker und Geschäftsmann Nikolai Gluschkow wurde ermordet. An seinem Hals fanden Rechtsmediziner Gewaltspuren, wie Scotland Yard am Freitag in London mitteilte. Der 68-Jährige war am vergangenen Montag tot in seinem Haus in der Hauptstadt entdeckt worden.
Im Fall Gluschkow sieht die Polizei derzeit keine Verbindung zu dem Attentat auf Skripal und dessen Tochter. Die beiden waren am 4. März bewusstlos auf einer Parkbank in der südenglischen Kleinstadt Salisbury entdeckt worden. Sie befinden sich in einem kritischen Zustand.
Die britische Regierung hatte nach dem Attentat auf Skripal und dessen Tochter unter anderem die Ausweisung von 23 russischen Diplomaten angeordnet. Der russische Außenminister Sergej Lawrow erklärte nun, dass Moskau auch britische Diplomaten ausweisen werde.
Das für den Anschlag auf Skripal verwendete Nervengift könnte nach einem Medienbericht im Koffer von dessen Tochter versteckt gewesen sein. Davon gingen Geheimdienstkreise aus, berichtete die britische Zeitung „The Daily Telegraph“ ohne eindeutige Quelle. Die extrem gefährliche Substanz Nowitschok sei bei einem Aufenthalt von Yulia Skripal in Moskau heimlich in ihrem Koffer deponiert worden. Als die Tochter anschließend den Vater in England besucht habe, soll sie das Gift dem Bericht zufolge unwissentlich freigesetzt haben.
Moskau setzt nach Worten von Außenminister Lawrow nun auch auf eine Aussage des Opfers Skripal. „Warum fragen wir nicht einfach den Betroffenen selbst, wenn es ihm hoffentlich besser geht?“, sagte Lawrow.
In seltener Geschlossenheit stellten sich Deutschland, Frankreich und die USA hinter Großbritannien. Am Freitag sicherten laut Downing Street Italien und Australien in Telefongesprächen ebenfalls ihre Rückendeckung zu. Auch die Nato hat nach eigenen Angaben keine Zweifel daran, dass Moskau für den Anschlag verantwortlich ist.
Der Chef der oppositionellen, britischen Labour-Partei, Jeremy Corbyn, warnte dagegen vor einer vorschnellen Verurteilung und einem neuen „Kalten Krieg“. Auch mafiaähnliche Banden in Russland könnten für die Tat verantwortlich sein, sagte er in Interviews. Für seine Äußerungen wurde Corbyn auch in der eigenen Partei kritisiert.
Trotz der Kluft zu Moskau lehnt die neue Bundesregierung nach eigenem Bekunden einen Boykott der deutschen Mannschaft bei der Fußball-WM im Sommer in Russland ab. Davon halte sie nichts, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in Berlin. Viele Spuren deuteten darauf hin, dass Russland Verantwortung trage, sagte Merkel gestern bei einem Treffen mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron in Paris. Die Situation sei schwierig. Außenminister Heiko Maas sprach sich bei einem Besuch in Polen für Konsequenzen aus. Er wurde aber nicht konkret.