Merkel und der Fall Puigdemont

Ausgerechnet Deutschland

von Redaktion

Man kann  nicht behaupten, dass die Berliner Koalitionäre gemeinhin zu übertriebener Einsilbigkeit neigten. Umso dröhnender ist das Schweigen der Bundesregierung nach der Verhaftung des katalanischen Separatistenführers Carles Puigdemont durch die deutsche Polizei. Berlin ist in eine Art Schockstarre gefallen, weil das Land über Nacht in das Zentrum der nächsten Asylkrise geraten ist. Und die Sache einfach so laufen zu lassen wie beim letzten Mal dürfte diesmal für die Kanzlerin schwierig werden.

Dazu ist der Fall zu politisch – und das Vorgehen des spanischen Rechtsstaates zu brachial. Es ist das gute Recht der Regierung in Madrid, Spaniens territoriale Integrität zu verteidigen. Aber die Maßlosigkeit, mit der die Regierung Rajoy gegen die Führer der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung vorgeht, ist mehr als irritierend. Zwei Dutzend von ihnen sitzen schon in Haft oder sollen nach dem Willen Madrids bald zu langjährigen Gefängnisstrafen abgeurteilt werden. Es sind bürgerliche Nationalisten, die gerade in freien Wahlen eine Mehrheit errungen haben, und keine Schwerverbrecher. Wie solche aber werden sie von der Regierung Rajoy verfolgt, mit teils fadenscheinigen Anschuldigungen wie dem „Missbrauch von Steuergeldern“, um andere EU-Staaten zur Auslieferung zu bewegen.

Es ist schade, dass ausgerechnet Deutschland, das vielen anderen großzügig Schutz gewährt hat, sich hierfür einspannen lässt, während andere EU-Länder mit feinerem Gespür sich zurückhalten. Und es klingt schal, wenn Kanzlerin Merkel ihren Regierungssprecher knapp verlautbaren lässt, man vertraue dem spanischen Rechtsstaat. So einfach ist es leider nicht. Wenn Spanien zu einer Art Enthauptungsschlag gegen demokratisch gewählte Regionalpolitiker ausholt, darf Deutschland, darf Europa sich nicht auf Samtpfoten davonstehlen oder, schlimmer, Madrid geräuschlos zuarbeiten. Die Bürger nicht nur in Katalonien könnten sich sonst bald fragen, was all die hehren Bekenntnisse der EU zu Demokratie und Selbstbestimmung wert sind. Der Regierung in Madrid muss dringend klargemacht werden, dass es unklug ist, Märtyrer zu schaffen, die unselige (und ungerechte) Erinnerungen an die überwundene Franco-Zeit wachrufen. Katalonien braucht umfassende Autonomie-Angebote, wenn in Barcelona nicht eine Spirale der Gewalt in Gang gesetzt werden soll. Es geht um viel im Fall Puigdemont. Für Spanien. Und für Europa.

Georg Anastasiadis

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