Warna/Brüssel – Donald Tusk war schon im Vorfeld skeptisch. „Ich bin mir bewusst, dass das kein einfaches Treffen wird“, sagte der EU-Ratspräsident am Freitag nach dem EU-Gipfel in Brüssel. Am Montagabend ist es wieder Tusk, der nach Gesprächen mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan vor die Kameras tritt. Und was er zu sagen hat, klingt wieder ernüchternd.
Die EU sei weiter besorgt über die Rechtsstaatlichkeit der Türkei, sagte Tusk. Außerdem kritisierte er die Inhaftierung von EU-Bürgern und die türkische Blockade von Erdgasbohrungen vor Zypern. Auch die Besorgnis der EU über die türkische Militäraktion in Syrien habe man zum Ausdruck gebracht, unterstrich er. „Wenn Sie mich fragen, ob wir Lösungen oder Kompromisse erzielt haben, lautet meine Antwort: Nein.“ Immerhin seien alle Bedenken auf den Tisch gekommen. „Die Liste war lang.“
Erdogan betonte dagegen, die Türkei sei „ein demokratischer Rechtsstaat, der Menschenrechte und Grundrechte und Freiheiten respektiert“. Er zeigte sich trotz aller Probleme optimistisch, dass sich das seit mehr als eineinhalb Jahren extrem angespannte Verhältnis zwischen der Türkei und der EU wieder verbessern könnte. „Wir hoffen, dass wir in den Beziehungen zwischen der Türkei und der Europäischen Union die schwierige Zeit hinter uns gelassen haben.“
Schon vor dem mit Spannung erwarteten Treffen forderte Erdogan, den eingefrorenen Beitrittsprozess seines Landes zur EU wiederzubeleben: Die Türkei, sagte er, strebe weiter eine EU-Vollmitgliedschaft an. „Es wäre ein schwerer Fehler, wenn Europa, das behauptet, eine globale Kraft zu sein, die Türkei von ihrer Erweiterungspolitik ausschließt.“ Er fügte hinzu: „Die Türkei und die Europäische Union sind seit langem strategische Partner.“
Die Stimmung deutete zuletzt eher auf Distanzierung hin. Im Bundestagswahlkampf hatte sich Kanzlerin Angela Merkel (CDU) sogar offen dafür gezeigt, die Verhandlungen ganz abzubrechen. Österreichs Kanzler Sebastian Kurz hat diese Forderung unlängst erneuert.
Das Treffen der EU-Spitzen mit Erdogan im bulgarischen Warna war das erste dieser Art seit zehn Monaten. Es sollte eigentlich zur Entspannung der seit langem belasteten Beziehungen zwischen der EU und der Türkei beitragen. Am vergangenen Donnerstag war es aber zu neuen Irritationen gekommen, als der EU-Gipfel die türkische Blockade von Erdgasbohrungen vor Zypern als „rechtswidrig“ bezeichnete. Das türkische Außenministerium nannte das „inakzeptabel“. Nach dem gestrigen Treffen sagte Erdogan lediglich, die Interessen der türkischen Zyprioten müssten berücksichtigt werden.
Umso deutlicher betonte er, dass die Türkei ihren Kampf gegen den Terrorismus im Land und außerhalb ihrer Grenzen fortsetzen werde – und nannte dabei ausdrücklich die umstrittene türkische Offensive im nordsyrischen Afrin gegen die Kurdenmiliz YPG. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker sagte: „Dieser Kampf muss reguliert sein und sollte in Einklang mit internationalem Recht ausgeführt werden.“
Erdogan sprach sich zudem dafür aus, die von Ankara angestrebte Modernisierung der Zollunion mit der EU schnell anzugehen und dabei politische Aspekte außen vor zu lassen. Er verwies darauf, dass seine Regierung im Februar der EU Vorschläge unterbreitet habe, wie die Türkei die noch offenen Bedingungen zur Visaliberalisierung erfüllen könnte. Die Visaliberalisierung müsse nun schnell umgesetzt werden.
Die EU sicherte Erdogan zu, wie versprochen weitere drei Milliarden Euro für die Versorgung syrischer Flüchtlinge in der Türkei bereitzustellen. „Es sollte keinen Zweifel geben, dass die EU ihren Zusagen nachkommen wird“, sagte Juncker. Er nannte Erdogan einen „Freund“. Tusk betonte, man habe sich darauf geeinigt, den Dialog auch unter schwierigen Bedingungen fortzusetzen. Der bulgarische Ministerpräsident Boiko Borissow bedankte sich für das „konstruktive Treffen“ – eines, das „mit großer Spannung geladen war“.