Der Wahn ist schon lange Teil unserer Gesellschaft. Seine Gesichter wandeln sich von Fall zu Fall. Nun also ein geisteskranker Deutscher, der mit einem Kastenwagen in eine Menschenmenge rast. Wieder fragen wir uns: Wie reagieren auf eine Irrsinnstat? Zorn, Hass, Gleichgültigkeit – aber auch Besonnenheit und Hilfsbereitschaft: All das war am Wochenende nach der Bluttat von Münster, die dem Konzept mehrerer islamistischer Anschläge nachgeahmt war, zu beobachten.
Nüchtern betrachtet, ist zu konstatieren: Die Bedrohungslage wandelt sich weiter. Alltagsgegenstände – Autos, Messer – werden zum Tatwerkzeug. Daraus ergeben sich Angriffsmuster, gegen die sich eine offene Gesellschaft nicht vollständig wappnen kann. Natürlich werden Poller zum selbstverständlichen Bild der Innenstädte gehören, allein schon, weil sich kein Kommunalpolitiker mehr aufbürden mag, gegen eine solche Schutzmaßnahme einzutreten. Potenzielle Anschlagsorte mit Fahrzeugen verlagern sich dann eben an andere innerstädtische Punkte, an denen sich Verkehrsströme kreuzen.
Umso wichtiger wird die Frage, wie unsere Gesellschaft mit Gewalttaten umgeht, wie sie eine Balance findet zwischen Erschrecken und Alarmismus, zwischen Mitgefühl und zum Ritual verkommenden Betroffenheitsgesten. Ja, es gibt ein Bild, das uns vom traurigen Wochenende in Münster sehr gerne in Erinnerung bleiben darf: Es ist die lange Schlange von Menschen, die vor der Uniklinik anstehen, um Blut zu spenden.
Christian Deutschländer
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