Frankreich

Macron will Gegenwind trotzen

von Redaktion

Von Christian Böhmer und Sebastian Kunigkeit

Paris – Der Schauplatz ist sorgsam gewählt: Eine blitzsaubere Grundschule in der Normandie, 150 Kilometer entfernt von der lärmenden Hauptstadt Paris. Ein knappes Jahr nach Amtsantritt will Emmanuel Macron auf drängende Fragen der Franzosen antworten: Wie geht es mit den Reformen weiter? Streikende Eisenbahner, protestierende Studenten, unzufriedene Rentner: Ein knappes Jahr nach Amtsantritt bekommt Emmanuel Macron kräftigen Gegenwind zu spüren. Der wachsende Widerstand im Land gegen seine Politik ist ein zentrales Thema bei dem Auftritt in dem 1100-Einwohner-Dorf Berd’huis. Der Staatschef, dem bislang alles mühelos zu gelingen schien, ist zwar nicht für alle derzeitigen Sozialkonflikte verantwortlich. Doch angesichts der Streikwelle bei der Bahn, die viele Franzosen im Alltag trifft, gibt es Unverständnis für seine manchmal abgehobene Attitüde. „Sein Schweigen wurde ohrenbetäubend“, kommentierte die angesehene Zeitung „Le Monde“.

„Wir gehen bis zum Ende“, kündigt Macron nun vor laufenden Kameras an und meint damit die umstrittenen Reformpläne der Mitte-Regierung von Premierminister Édouard Philippe. Eine Privatisierung der hoch verschuldeten Bahngesellschaft SNCF stehe nicht auf der Tagesordnung, versichert der schnell sprechende Staatschef. Ob das Pendler und Reisende tröstet, ist eine andere Frage: Für Freitag und Samstag sind wieder Aktionen angekündigt, viele Züge dürften wohl im Depot stehen bleiben.

Die linke Flanke des französischen Staatschefs bröckele, meinen Beobachter in Frankreich. Immer lauter wird der Vorwurf, sein Reformkurs komme vor allem Unternehmen und Investoren zugute. Macron, ein „Präsident der Reichen“? Nein, antwortet er. „Ich bin der Präsident aller Franzosen.“ Später ergänzt er entschlossen: „Schwierigkeiten halten mich nicht auf.“ Ein weiteres TV-Interview ist bereits für diesen Samstag angekündigt.

„Dass der Präsident der Republik gezwungen ist, zweimal in der gleichen Woche in den Ring zu steigen – ich weiß nicht, ob das ein Zeichen der Stärke ist“, kommentiert der mächtige Gewerkschaftschef Philippe Martinez süffisant. „Macron muss von seinem Podest heruntersteigen und etwas mehr diesem Frankreich zuhören, das nicht zufrieden ist.“

Aufhorchen lässt eine Umfrage des Ipsos-Instituts, wonach die Hälfte der Befragten Macrons Partei La République en Marche inzwischen dem konservativen Lager zurechnen – vor einem Jahr sei es nur ein Drittel gewesen, berichtete „Le Monde“. Das Blatt spricht von einem „Alarm-Signal“. Denn Macron hat immer versucht, sich jenseits des klassischen Rechts-Links-Schemas zu positionieren – und seinen Erfolg auch auf Unterstützer aus dem Mitte-Links-Lager gestützt.

Der Staatschef und seine Mitte-Regierung wollen das von einer hohen Arbeitslosigkeit gebeutelte Land umkrempeln und gehen dabei beherzt zur Sache. Erst die Lockerung des Arbeitsrechts und Erleichterungen bei der Vermögenssteuer, nun der Umbau der hoch verschuldeten Staatsbahn SNCF, dann Neuerungen bei der Arbeitslosenversicherung und den Renten.

Im Wahlkampf hatte Macron stets eine Strategie mit zwei Pfeilern präsentiert: Verkrustungen aufbrechen und den Menschen zugleich sozialen Schutz garantieren.

Der langjährige Grünen-Europapolitiker Daniel Cohn-Bendit findet, dass „die Frage der Sicherheit“ bei Macron nicht richtig durchdringt. Der Präsident habe keine „richtig gefestigte Position zur Rolle der sozialen Institutionen, also der Gewerkschaften“, sagte der 73-Jährige. Das sei auch ein französisches Problem, denn sowohl Arbeitgeber als auch Gewerkschaften träten häufig dogmatisch auf, meint der deutsch-französische Politiker, der aus seiner Macron-Sympathie sonst keinen Hehl macht.

Artikel 4 von 11