Straßburg – Es ist eine ungeschminkte Analyse, die Emmanuel Macron am Rednerpult des Europaparlaments in Straßburg den Abgeordneten vorlegt: Der Präsident, dessen Augen beim Thema Europa sonst hell zu leuchten beginnen, warnt mit ernster Miene eindringlich vor einer Aushöhlung der Demokratie und „autoritären Versuchungen“. Es müsse verhindert werden, dass sich eine „tödliche Illusion, eine Illusion des Nationalismus, eine Illusion des Aufgebens von Freiheiten“ verankere, so Macron.
Und er bemüht den historischen Vergleich: Er selbst gehöre einer Generation an, die den Krieg nicht gekannt habe und die sich den „Luxus leistet“, die Erfahrungen ihrer Vorfahren zu vergessen, sagt Macron in seiner ersten Rede vor dem EU-Plenum. Er wolle aber nicht „einer Generation von Schlafwandlern angehören“, betont er in Anspielung auf den Bestseller des Historikers Christopher Clark über das Europa vor dem Ersten Weltkrieg.
Er bleibt weiter grundsätzlich: Es gebe „Spaltung und manchmal Zweifel innerhalb Europas“, sagt er. Grundüberzeugungen zu Europa würden heute infrage gestellt. „Das ist ein Kontext, in dem eine Art europäischer Bürgerkrieg wiederauftaucht und unsere Unterschiede und manchmal unsere nationalen Egoismen wichtiger erscheinen als das, was uns eint.“ Als Konsequenz fordert der Franzose ein klares Bekenntnis zur Demokratie. Die Abkehr von diesem Grundsatz sei „der schwerste Fehler“, den Europa begehen könne, meint er mit Blick auf Konflikte der EU mit Ländern wie Polen oder Ungarn zur Einhaltung demokratischer Grundsätze und der Rechtsstaatlichkeit.
„Die Antwort ist nicht die autoritäre Demokratie, sondern die Autorität der Demokratie“, betont der 40-jährige Staatschef, der sich nach seiner Rede der Debatte mit den Abgeordneten stellt. „Er hatte richtig Freude am politischen Diskurs“, meint die oberbayerische CSU-Abgeordnete Angelika Niebler nach dem dreistündigen Auftritt. Bei aller Sympathie für Macrons Vorschläge in der Anti-Terror-Politik oder der Außen- und Sicherheitspolitik – „seine Ideen zum Euro-Haushalt mit europäischem Finanzminister lehne ich ab. Wir brauchen keine Transferunion, sondern Verantwortung der Mitgliedstaaten für ihre eigenen Finanzen“, so Niebler.
Dabei hat der Franzose das Thema Umbau der Eurozone nur vorsichtig behandelt und von „Fahrplan“ und „Schritten“ zum Vorankommen gesprochen. Der sich abzeichnende Widerstand gegen seine ehrgeizigen Pläne, nicht nur, aber vor allem in Deutschland, lässt ihn zwei Tage vor dem Besuch in Berlin andere Themen in den Vordergrund stellen. So unterstützt er etwa Merkels Forderung nach einem europäischen Programm, das jene Kommunen finanziell direkt unterstützt, die Flüchtlinge aufnehmen und integrieren. Und wie Merkel kündigt Macron einen höheren Beitrag Frankreichs zum EU-Haushalt an.
Zudem stellt sich der Präsident klar hinter einen Vorschlag der EU-Kommission zur stärkeren Besteuerung von Internet-Konzernen. Dies könne „den schockierendsten Exzessen“ bei der Steuervermeidung ein Ende setzen, sagt er.
Breiter Konsens herrscht in vielen Fraktionen darüber, dass Macron spannenden Input für die Zukunft Europas liefern kann. Doch uneingeschränkte Zustimmung sieht anders aus. Den Sozialdemokraten ist Macron nicht sozial genug: Fraktionschef Udo Bullmann erklärt, der Franzose handele wie ein „nicht wirklich auf das Gemeinwohl der Bürger ausgerichteter, konservativer, wenn auch pro-europäischer Politiker“. Die Grünen beklagen Mängel bei der Klima- und Asylpolitik in Frankreich.
Mehrere Abgeordnete werfen ihm vor, trotz seiner Bekenntnisse zu demokratischen Prinzipien die Forderung des EU-Parlaments abzulehnen, wonach die Spitzenkandidaten der europäischen Parteien zugleich Anwärter für das Amt des EU-Kommissionspräsidenten sein sollen. In einer echten Demokratie müssten die Wähler über die Exekutive entscheiden können, sagt der Fraktionsvorsitzende der christdemokratischen Europäischen Volkspartei, Manfred Weber (CSU). Dass Macron sich weiter gegen das Prinzip der Spitzenkandidaten sträube, sei „enttäuschend“, findet auch der deutsche Grüne Sven Giegold. mit afp/dpa