Hitzige Debatte über EU-erweiterung

Balkan: EU lockt – und hofft auf Reformen

von Redaktion

von T. Brey und A. Haase

Brüssel – Wird die Europäische Union trotz des Brexits schon im kommenden Jahrzehnt mehr als 30 Mitgliedsländer zählen? Die EU-Kommission hält das für durchaus wünschenswert und lockt Balkanstaaten wie Montenegro und Serbien sogar mit einem konkreten Datum. Diese Woche erst schlug sie vor, auch mit Albanien und Mazedonien offizielle Beitrittsgespräche aufzunehmen. Nur Bosnien-Herzegowina und das Kosovo sind noch nicht soweit. Doch über eine EU-Erweiterung gibt es Streit, da es schon heute schwerfällt, eine gemeinsame Linie zu finden.

„Die EU-Erweiterung ist eine Investition in Frieden, Sicherheit, Wohlstand und Stabilität in Europa“, sagt EU-Chefdiplomatin Federica Mogherini. Zwar sind die sechs Balkanstaaten von den EU-Mitgliedern Griechenland, Bulgarien, Rumänien, Ungarn und Kroatien umgeben. Doch Russland, China und die Türkei bauen ihren Einfluss aus. Das bereitet vielen in der EU Sorgen.

Die Empfehlung für Beitrittsverhandlungen hat zunächst aber kaum praktische Folgen. Nach Meinung der EU-Kommission sind Albanien und Mazedonien zwar reif, Gespräche zu beginnen. Die Entscheidung muss aber einstimmig von den Regierungen der Mitgliedstaaten getroffen werden. Ob diese eine gemeinsame Linie finden, ist äußerst fraglich. Der französische Präsident Emmanuel Macron etwa forderte, dass es zunächst EU-Reformen geben müsse, da die Union sonst Handlungsfähigkeit verliere.

Dennoch gibt es ein konkretes Datum: Die EU-Kommission hat den Westbalkanstaaten in Aussicht gestellt, bis zum Jahr 2025 der EU beitreten zu können. Jean-Claude Juncker sprach von einem „Ermunterungsdatum“, das helfen soll, Reformen zu beschleunigen. Dass das Datum haltbar ist, bezweifeln selbst Optimisten: Zu groß sind die Reformdefizite. Albanien gilt wegen seines Haschisch-Anbaus als „Kolumbien Europas“. Die staatlichen Institutionen und Behörden oder die Polizei funktionieren nicht. Korruption ist allgegenwärtig und das Parlament wird regelmäßig von der Opposition boykottiert. In diesem Monat wurde Regierungschef Edi Rama in der Volksvertretung mit Eiern und Mehl attackiert.

In Mazedonien ist die Lage nicht viel besser. Die Justiz gilt als politisch gesteuert, die Medien ebenso. Vor einem Jahr wurde das Parlament gestürmt und verwüstet, Abgeordnete wurden krankenhausreif geschlagen. Hinzu kommen Verwerfungen zwischen der slawischsprechenden mazedonischen Mehrheit und der albanischen Minderheit. In Mazedonien wie Albanien ist der illegale Schmuggel von Gütern aller Art – Drogen, Waffen, Zigaretten, Alkohol, Menschen – ein bedeutender Wirtschaftsfaktor.

Ein weiteres Hindernis sind die Grenzstreitigkeiten. Der jüngste erbitterte Grenzstreit zwischen den beiden Mitgliedsländern Slowenien und Kroatien in der Adriabucht von Piran hat noch einmal klar gemacht, dass potenzielle neue EU-Mitglieder ihre territorialen Konflikte nicht in die EU tragen dürfen.

Die mit Abstand größten Fortschritte hat in den vergangenen Jahren Montenegro erzielt. Das kleine Adrialand wurde 2017 bereits in die Nato aufgenommen und in den EU-Verhandlungen wurden schon 30 der insgesamt 35 Themenbereiche angegangen – drei sogenannte Kapitel konnten sogar schon vorläufig abgehakt werden. Serbien, das Kernland des früheren Jugoslawiens, kommt auf zwölf geöffnete Kapitel, von denen bislang zwei vorläufig abgeschlossen wurden.

Es ist also ein weiter Weg mit noch vielen Etappen. Am 17. Mai organisiert Bulgarien in Sofia einen EU-Westbalkan-Gipfel. Dabei dürfte es hitzige Debatten geben. Länder wie Österreich drängen aus sicherheitspolitischen und wirtschaftlichen Interessen auf eine klare EU-Perspektive für die Balkanstaaten. Länder wie Deutschland wollen hingegen vermeiden, dass noch einmal Länder wie Rumänien oder Bulgarien aufgenommen werden, die sich sehr schwer tun, EU-Standards wie Marktwirtschaft und Medienfreiheit zu erfüllen.

Daneben dürfte es Zoff um das Kosovo geben, das vor zehn Jahren von Serbien abgefallen war. Fünf EU-Mitglieder (Spanien, Griechenland, Rumänien, Zypern, Slowakei) weigern sich, das Kosovo als europäischen Staat anzuerkennen. Weil auch das Kosovo zum Balkan-Gipfel eingeladen ist, erwägt Spanien sogar den Boykott des Treffens.

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