Grüne Ängste

von Redaktion

Nach der Abwahl von Freiburgs OB Dieter Salomon fürchten manche um die Stärke der Grünen im Ländle – Özdemir: „Nicht überbewerten“

Freiburg – Es soll ein großer Abend werden, aber für Martin Horn endet er mit einer gebrochenen Nase, zwei zersplitterten Zähnen und Wunden rund um das linke Auge. Horn, 33 Jahre alt und parteilos, feiert gerade seine Wahl zum Freiburger Oberbürgermeister, als ihm ein 54-Jähriger mit voller Wucht die Faust ins Gesicht schlägt. Das Motiv: kein politisches. Laut Polizei ist der Mann geistig verwirrt. „Ich lasse mich davon nicht unterkriegen“, sagt Horn am Tag danach. Die Freude über den Sieg sei größer.

Tatsächlich fragt sich, ob die Wunden seines Gegners nicht tiefer gehen. Dieter Salomon ist so etwas wie der personifizierte Aufschwung der Grünen im Südwesten der Republik. Mit ihm regierte die Ökopartei zum ersten mal eine Großstadt, 16 Jahre lang. Seine klare Niederlage am Sonntag (Salomon bekam nur 30,7 Prozent der Stimmen, Horn 44,2 Prozent) lässt nun die Frage aufkommen, ob es das war mit dem Höhenflug des realpolitisch-bürgerlichen Parteiflügels, zu dem auch Ministerpräsident Winfried Kretschmann und Stuttgarts Oberbürgermeister Fritz Kuhn zählen – und der als Modell für den Bund galt.

Die Opposition feixt jedenfalls schon. „Salomon 2018, Kuhn 2020, Kretschmann 2021: Das könnte der Beginn einer Serie sein“, schreibt SPD-Landesvize Frederick Brütting am Sonntag unter dem Stichwort Götterdämmerung bei Facebook. FDP-Landeschef Hans-Ulrich Rülke glaubt, Freiburg habe „auch Grün-Schwarz im Land abgewählt“.

Tatsächlich kommt es für die baden-württembergischen Grünen gerade ganz dick. Kretschmanns Regierung erlebte eine schwere Krise, die sich an einer von der CDU abgelehnten Reform des Landtagswahlrechts entspann. Jetzt Freiburg und die Frage, wie es um die in Baden-Württemberg weit verbreitete Strategie der Grünen bestellt ist, als eine Art CDU-light die Konservativen für sich zu gewinnen. Haben die Südwest-Realos als Kompass ausgedient?

„Eine Oberbürgermeisterwahl ist immer eine Personenwahl“, sagt der ehemalige Parteichef Cem Özdemir unserer Zeitung. „Und die Freiburger wollten nach 16 erfolgreichen Jahren offenbar vor allem ein neues Gesicht im Rathaus.“ Natürlich müssten die Fehler analysiert werden. „Aber ich werde das landes- und bundespolitisch nicht überbewerten. Baden-Württemberg bleibt eine grüne Bastion.“

Auch Parteichefin Annalena Baerbock will einen Trend für ganz Baden-Württemberg „überhaupt nicht“ sehen. Es sei eine Wahl „vor Ort“ gewesen. Punkt. Andere werden deutlicher, etwa Berlins Justizsenator Dirk Behrendt. „Das Modell der Öffnung der grünen Partei nach rechts hat in Freiburg einen größeren Kratzer bekommen“, schreibt er auf Twitter.

Der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer erinnert daran, dass es ja neben Salomon mit Monika Stein (Grüne Alternative Freiburg) noch eine grüne Kandidatin mit weiteren rund 25 Prozent der Stimmen gegeben habe. Palmer wehrt sich deshalb gegen die Interpretation, mit Salomons Abwahl beginne der Abstieg der Grünen in Baden-Württemberg.

Dennoch könnten zwei Dinge den Grünen auch im Land als Mahnung dienen: Im Landesverband haben die Realpolitiker das Sagen. Aber angesichts der Probleme mit dem schwarzen Koalitionspartner und grün-schwarzer Kompromisse könnten die Spannungen mit dem linken Flügel zunehmen, der fordert, dass die Grünen als progressive Kraft erkennbar und von der CDU unterscheidbar bleiben müssen. Die zweite Erkenntnis: Man darf sich seines Amtes nicht zu sicher sein – nicht als OB in Freiburg und wohl auch nicht als Regierungschef in Stuttgart.  mmä/dpa

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