Rom – Eigentlich war die Frist abgelaufen, das Ultimatum des Staatspräsidenten verstrichen. Im Quirinal wurde an einer technischen Übergangsregierung gebastelt, die die wichtigsten Gesetze verabschieden sollte, um das Land in baldige Neuwahlen zu führen. Erste Namen für Premiers wurden ventiliert. Zuvor waren acht Wochen ins Land gegangen, in der sich die wichtigsten Akteure im neugewählten Parlament belauerten, blockierten und gegenseitig hinters Licht führten. Staatschef Sergio Mattarella hatte die Nase von diesen Ränkespielen voll.
Wie eine Bombe schlug da die Nachricht ein, die Führer der beiden populistischen Kräfte, Luigi di Maio (5 Stelle) und Matteo Salvini (Lega), hätten den Quirinalspalast um eine letzte 24-stündige Frist ersucht, um sich auf eine Koalition zu einigen. In Parteien und Medien war man bereits auf Neuwahlen eingestellt.
Der Schlüssel war in der Nacht zum Donnerstag eine schriftliche Erklärung aus Arcore, dem Wohnsitz von Silvio Berlusconi, wo sich die Spitzen der gebeutelten Forza Italia versammelt hatten. Bis zuletzt hatte man dort auf die gegenseitige Verpflichtung gepocht, das Rechtsbündnis aus Forza Italia, Lega und Neofaschisten nicht einseitig zu spalten. De facto war es längst tot, seit Salvinis rechtsextreme Lega am 4. März zur stärksten Kraft in der schillernden Allianz avanciert war. Der Ex-Cavaliere, der sich lang gegen seine Entmachtung gewehrt hatte, streckt unerwartet die Waffen.
Forza Italia, so verlautete, trete einen Schritt zurück, um der Lega einen Pakt mit den siegreichen Grillini zu ermöglichen. Man werde fortan eine „verantwortungsvolle Opposition“ sein. Das Vertrauensvotum im Parlament wolle man der neuen Konstellation allerdings verweigern. Damit war die Sensation perfekt. Ausgerechnet derselbe Berlusconi, der sich mit allen Mitteln gegen eine Regierungsbeteiligung des Movimento gesträubt hatte, öffnete so den Populisten die Tür zum Palazzo Chigi, dem Sitz der italienischen Regierung.
In den Wochen zuvor hatten di Maio und andere Spitzenpolitiker der 5 Stelle gebetsmühlenhaft betont, dass es mit ihnen keine Regierung unter Einschluss des verurteilten Ex-Regierungschefs geben werde; „Skandalnudel Berlusconi“ stehe quasi für alles, was die eigenen Wähler an der politischen Klasse als korrupt und verrottet verabscheuten. Berlusconi keilte zurück, „diese Typen dürften in meiner Firma höchstens die Klos putzen.“
Da sich Lega-Chef Salvini scheute, am Ende als Verräter am Pranger zu stehen, schien die Lage festgefahren. Mit einem Hieb durchschlug nun der Ex-Cavaliere den gordischen Knoten. Vielleicht ein Befreiungsschlag. Insgeheim, so vermuten Beobachter, setze er auf ein schnelles Scheitern des populistischen Projekts. Seit gestern sitzen nun die Spitzenvertreter beider Seiten zusammen, um einen Koalitionsvertrag auszuarbeiten. Darin dürfte sich ein Sammelsurium an Lieblingsthemen widerfinden, mit denen sie beim Wähler punkteten: Bedingungsloses Grundeinkommen, Flat-Tax (ein einheitlicher Steuersatz von etwa 20 Prozent für alle Erwerbstätigen), Abschottung gegen Migranten, Kampf gegen Korruption.
Wie es das Bündnis – falls es in trockene Tücher gebracht werden sollte – mit Stabilitätskriterien, Haushaltsdisziplin und anderen EU-Verpflichtungen halten würde, daran darf man seine Zweifel hegen. Und in der Außenpolitik trennen Amerikafreund di Maio und Putin-Bewunderer Salvini Welten. Zwar wird Staatspräsident Mattarella auf entsprechende Garantien und die strikte Einhaltung internationaler Verträge pochen. Auch bei der Besetzung der Schlüsselministerien hat er ein Wort mitzureden. Doch ist den Populisten zu trauen? Nicht nur Europa könnte sich bald die bange Frage stellen: Quo vadis, Italia? Ingo-Michael Feth