Rom – Vom Pirelli-Tower in Mailand kann man an klaren Tagen vom südlichen Alpenrand bis zum Apennin blicken. Dass sich die Führungsspitzen von Movimento Cinque Stelle und Lega am Wochenende ausgerechnet hier im 23. Stock einquartiert hatten, um ihr Regierungsprogramm auszuhandeln, kann man als Zeichen verstehen. Frische Luft im modernen Glasturm statt angestaubter Plüschsalons in römischen Palazzi. Die Botschaft gelang indes nur halb: In Mailand herrschte am Wochenende dichter Hochnebel, in Rom Sonnenschein.
Nebulös und widersprüchlich waren auch die Meldungen, die nach draußen drangen. Sachpolitisch stehen sich beide Kräfte erstaunlich nahe. Knackpunkte, so hieß es, seien weniger die Themen als die personelle Besetzung der neuen Regierungsmannschaft, die man morgen dem Staatspräsidenten präsentieren wolle. Darunter auch die wichtigste Personalie: Der Kandidat für das Amt des Premierministers.
Lange sah es so aus, als wollten sich Luigi di Maio, der siegreiche Spitzenkandidat der Grillini, und Matteo Salvini, Führer der Lega, zur Mitte der Legislatur als Regierungschef ablösen. Doch beide Seiten konnten sich nicht einigen, wer anfangen solle. Di Maio hatte das Vorrecht reklamiert. So kam eine „neutrale dritte Person“ ins Spiel. Ironie der Geschichte: Beide Parteien hatten sich noch vor wenigen Tagen heftig gegen den Plan von Staatschef Mattarella gewehrt, einen Technokraten an die Spitze eines Übergangskabinetts zu berufen.
Nun wollen ausgerechnet sie eine neutrale Persönlichkeit von außen als Kandidaten präsentieren. Wer das am Ende sein soll, blieb gestern offen; rund ein Dutzend Namen wurden ventiliert und wieder verworfen. Dieses Lotteriespiel wirft unter Beobachtern die Frage auf, ob ein Premier von Salvinis und di Maios Gnaden genügend Autorität hätte, um den Laden zusammenzuhalten. Wer wolle sich das freiwillig antun?
Deutlicher ist der ambitionierte Koalitionsvertrag, der rund zwanzig Punkte umfasst. So soll nach Angaben di Maios bereits im kommenden Jahr die von den Cinque Stelle im Wahlkampf verfochtene Grundsicherung für alle Bürger in Gesetzesform gegossen werden. Es wäre das erste Mal, dass ein EU-Mitgliedstaat das umstrittene Konzept umsetzt.
Auch das leidige Steuerwesen soll revolutioniert werden: Statt des geltenden linearen Systems soll bei der Einkommensteuer ein niedriger, einheitlicher Satz gelten, „Flat Tax“ genannt; die Rede ist von 15 bis 20 Prozent. Dafür will man einen Großteil der Ausnahmen streichen. Analog soll bei der Besteuerung der Unternehmen verfahren werden. Die Pläne zur Gegenfinanzierung bleiben dagegen vage.
Viel Geld soll auch für die Sicherung der Grenzen, den Kampf gegen Kriminalität und die Beschränkung der Immigration in die Hand genommen werden. Vor allem beim Thema Flüchtlinge deutet sich ein harter Kurs an.
Nicht von ungefähr erinnerte Staatschef Sergio Mattarella gestern an einige Amtsvorgänger, die einst Gesetze wegen mangelnder Deckung zurückverwiesen hätten. „Italiens Präsident ist kein Staatsnotar“, gab er den Populisten zu verstehen. Und weiter: „Wer glaubt, auf eigene Faust mehr erreichen zu können als im Verbund mit den europäischen Partnern, erliegt einer gefährlichen Illusion.“ Mattarella werde klare Garantien verlangen, hieß es. Der heutige Termin im Quirinalspalast dürfte für das Regierungsbündnis in spe kein Durchmarsch werden. Ingo-Michael Feth