Reform-ideen

Europa staunt über Merkels Vision

von Redaktion

VON Michel Winde, Alkimos Sartoros und Ansgar Haase

Brüssel – Ein starkes, handlungsfähiges, verlässliches Europa in einer unsicheren Welt: Acht Monate nach dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron hat Bundeskanzlerin Angela Merkel ihre Vision für die Europäische Union und die Eurozone skizziert. Die Ziele klingen luftig, doch erstmals geht die CDU-Chefin auch ins Detail.

In Paris und Brüssel lobte man dies am Montag höflich. Aber in einigen Punkten liegt die Kanzlerin mit den europäischen Partnern noch recht offensichtlich über Kreuz. Nun drängt die Zeit, denn schon Ende des Monats sollen die EU-Staats- und Regierungschefs beim Brüsseler Gipfel wichtige Reformen dingfest machen. Was will die Kanzlerin und was wird daraus? Einige Anhaltspunkte:

Migration und Flucht: Die europäische Asylreform ist seit Jahren Streitthema Nummer eins in der EU – nun sucht Merkel in mehreren Punkten eine gemeinsame Linie mit Macron. Sie will die europäische Grenzschutzbehörde Frontex zu einer eigenständigen „europäischen Grenzpolizei mit europäischen Kompetenzen“ ausbauen. Und sie unterstützt die Idee einer europäischen Flüchtlingsbehörde, die langfristig vereinheitlichte Asylverfahren an den EU-Außengrenzen abwickeln könnte. Die Details sind jedoch offen und bergen Konfliktpotenzial. Soll etwa diese Behörde über die Verteilung der Schutzsuchenden in Europa entscheiden? Dem würden abweisend agierende Länder wie Ungarn im Europäischen Rat kaum zustimmen. Die Eurozone: Merkel will den europäischen Rettungsschirm ESM zu einem Europäischen Währungsfonds (EWF) ausbauen. Die Idee ist schon länger auf dem Markt und findet auch breite Zustimmung. Strittig sind die Details. Der jetzige ESM kann gegen Spar- und Reformauflagen langfristige Kredite an pleitebedrohte Staaten vergeben, wenn die Stabilität der Eurozone in Gefahr ist. Er wird von den 19 Euro-Staaten kontrolliert. Merkel will für den künftigen EWF zusätzliche Kompetenzen – so die Vergabe kürzer laufender Kredite und die Beurteilung der Wirtschaftsdaten betroffener Länder –, will aber auch den neuen Fonds zwischenstaatlich organisieren. Das widerspricht Plänen der EU-Kommission, die eine EU-Institution will. Letztlich geht es darum, wer die Kontrolle und das Sagen hat. Investivhaushalt: Auch Merkels Variante eines „Investivhaushalts“ dürfte für Debatten sorgen. Sie will mit einer Summe „im unteren zweistelligen Milliardenbetrag“ Investitionen und Innovationen in Euro-Ländern mit Nachholbedarf fördern. Das ist recht nah an Ideen der EU-Kommission, die EU-Staaten in den Jahren 2021 bis 2027 mit 25 Milliarden Euro aus dem EU-Haushalt bei Strukturreformen unterstützen will. Macron wollte dagegen einen Eurozonen-Haushalt mit einem vielfachen Volumen. Trotzdem scheint ein Konsens möglich.

Militär: Die Kanzlerin stellt sich ausdrücklich hinter Macrons Idee einer europäischen Interventionstruppe. Diese soll Europa sicherheitspolitisch schlagkräftiger und unabhängiger von den USA machen und könnte zum Beispiel eingreifen, wenn Terrororganisationen in Afrika demokratisch gewählte Regierungen bedrohen. Der Unterschied zu Macron: Merkel will die neue Truppe in EU-Strukturen einbinden.

Die EU agiler machen: Neu ist Merkels Bekenntnis zu zwei Punkten, die Macron wichtig waren: eine Verkleinerung der EU-Kommission von derzeit 28 Kommissaren und sogenannte transnationale Listen. Merkel sagt, es sollten „weniger Kommissare als bisher“ sein, und dafür sollten auch große Länder „in einem Rotationsverfahren einmal auf einen Kommissar“ verzichten. Im Zweifelsfall würde das auch Deutschland mal treffen.

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