München – Politiker mit schlechtem Kurzzeitgedächtnis können alles noch einmal nachlesen: Auf Seite 107 des Koalitionsvertrags findet sich unter der Überschrift „Effizientere Verfahren“ ein verhältnismäßig langer Passus über sogenannte „AnKER-Einrichtungen“. Das seltsame Wort AnKER, das inzwischen jede Nachrichtensendung dominiert, soll übrigens für „Ankunft, Entscheidung, kommunale Verteilung bzw. Rückführung“ stehen. Migranten sollen in den Zentren also von der Ersterfassung bis zur Entscheidung über den Asylantrag unter einem Dach betreut werden. Höchstdauer: 18 Monate.
Inzwischen sorgt diese Seite 107 für massive Verstimmungen in der Koalition. Kommende Woche will Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) seinen „Masterplan“ in Sachen Asyl vorstellen – und die Zentren dürften dabei einer der Grundbausteine sein. Doch bis auf Sachsen und Bayern weigern sich alle anderen Bundesländer, das Vereinbarte umzusetzen – auch CDU-geführte. „Der Bundesinnenminister gibt ein sehr schwaches Bild ab, denn er hat uns bisher null Informationen geliefert“, schimpfte beispielsweise der rheinland-pfälzische Innenminister Roger Lewentz (SPD).
Der Freistaat möchte den hilflosen Kollegen nun beweisen, wie das funktionieren kann. In München gab das Kabinett gestern grünes Licht für den Asylplan von Markus Söder. Das Vorhaben ist ambitioniert: Der Ministerpräsident will in Bayern nicht nur ein Ankerzentrum einrichten, sondern gleich sieben – in jedem Regierungsbezirk eines. In Oberbayern soll es auf dem Gelände des bisherigen Transitzentrums in Manching bei Ingolstadt entstehen. Man wolle ein „Vorbild“ für andere Bundesländer sein und als „Blaupause“ dienen, damit „keine Ausreden“ mehr akzeptiert würden, sagt Söder. „Wir brauchen eine grundsätzliche Neuaufstellung, wenn es um die Frage geht: Wie findet Zuwanderungspolitik in unserem Land statt.“ Der Ministerpräsident sieht im Skandal um das Bundesamt für Flüchtlinge ein „Sinnbild für die gesamte Flüchtlingspolitik“.
Söder geht es ums große Ganze, weshalb er auch massive Kritik am Berliner Koalitionspartner übt. „Die SPD schmilzt wie Butter in der Sonne“, sagt der CSU-Politiker. Er verstehe nicht, warum sich die Partei beim Thema Zuwanderung nicht um die Anliegen ihrer klassischen Wähler kümmere. Er verstehe zwar das taktische Interesse, die CSU mit ihren Anliegen auflaufen zu lassen. „Es geht aber weniger um die Bayernwahl, es geht um das Grundvertrauen in die Demokratie.“ Prozesse wie in Italien oder Spanien könnten sich auch in Deutschland entwickeln. Ohne AfD-Chef Alexander Gauland beim Namen zu nennen, spricht Söder von Politikern, die „Unerträgliches“ von sich geben. „Solange die Asylfragen nicht im Interesse der Bevölkerung vertrauens- und glaubwürdig angegangen und konsequent umgesetzt werden, haben solche Leute die Möglichkeit, mit ihrer Empörungskultur Profit daraus zu schlagen.“ Man stehe vor einer „nationalen, demokratischen Aufgabe“.
Schon heute bietet sich für Innenminister Joachim Herrmann die Gelegenheit, den Kollegen zu erklären, wie das mit den Ankerzentren funktioniert: Innenministerkonferenz in Quedlinburg. Linke Gruppen haben Protest angekündigt. Ihr Motto: „Anker lichten! Bleiberecht, volle Kraft voraus.“