Für einen Innenminister, der bestimmte Migranten ohne Bleibeaussicht in Deutschland schon gleich an der Grenze zurückweisen will, kann man durchaus Verständnis haben. Sobald nämlich jemand deutschen Boden betreten hat, stehen ihm alle Rechtsmittel zur Verfügung, die unser Staat durch zig Instanzen bietet. Das bedeutet jahrelange Streitigkeiten und Bemühungen bis zu einer auch dann noch schwierigen Abschiebung.
Die Kanzlerin hat aber gute Gründe für ihre Überzeugung, dass eine Lösung der Grenzfrage nur im europäischen Verbund erfolgen kann. Ihr Innenminister hat sich dem unterzuordnen.
Seehofer sollte dazu die Geschichte seines Amtsvorgängers Gustav Heinemann nachlesen. 1950 trat der zurück, weil er Adenauers Wiederbewaffnung nicht mittragen wollte. Weil er aber zugleich den Hut als CSU-Vorsitzender aufhat, erlaubt Seehofer sich, seinen eigentlich schon erklärten Rücktritt („Ich kann mit der Frau nicht mehr zusammenarbeiten“) in eine Drohung umzuwandeln. Sein Grenzregime will er gegen Weisung der Kanzlerin einführen. Dazu setzt er eine Frist von 14 Tagen, in der Frau Merkel eine europäische Grenzeinigung zustande bringen soll.
Eine solche unerhörte Kanzlerdemontage ist in der ganzen gelebten Verfassungsgeschichte der Bundesrepublik gottlob noch nie vorgekommen. Gewicht hat sie nur deswegen, weil Seehofer als CSU-Vorsitzender mit dem Bruch der Koalition droht. Er vermischt also als weisungsgebundener Innenminister seine Amtspflicht mit seiner Stellung als Parteivorsitzender einer der drei Regierungsparteien. Dieser Doppel-Angriff auf die Souveränität einer Regierung widerspricht unserer Verfassung. In der steht über die Parteien nämlich nur ein einziger schlichter Satz, nämlich dass sie an der politischen Willensbildung teilnehmen. Dieses Vorgehen des Innenministers ist allein schon für sich genommen und völlig unabhängig von der Frage, wie mit Migranten an der Grenze umzugehen ist, ein Grund, Seehofer als Minister unverzüglich abzuberufen.
Für das, was dann kommt, sind in der Tat die Parteien bzw. die in den Bundestag gewählten Abgeordneten zuständig. Und hier liegt die zweite Illusion, der Seehofer und alle unterliegen, die eine kompromisslose Einwanderungspolitik in der CSU unterstützen. Zur Bildung einer handlungsfähigen Regierung unter der Kanzlerin Merkel ist das Land dann (leider!) nicht mehr auf die CSU angewiesen. Andere Koalitionen sind denkbar. Frau Merkel hat die CDU ohnehin schon in die Nähe der Grünen wie der SPD geführt. Sie kann leicht eine andere Koalition bilden. Auch die FDP könnte noch auf diese Linie einschwenken. Wenn dann bei der Bayernwahl im Herbst, um die es ja bei der ganzen Zuspitzung in Wahrheit geht, eine von der CSU losgelöste CDU zur Wahl in Bayern antritt, ist es mit der CSU-Alleinherrschaft dort endgültig vorbei.
So könnte Herr Seehofer bald dastehen als das traurige Denkmal eines ungetreuen Innenministers und verzockter Macht einer Partei, die über so viele Jahrzehnte einen segensreichen, stabilisierenden Einfluss auf ganz Deutschland ausgeübt hat. Hoffentlich kommt es nicht so weit.
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