Bundestag: Die Generaldebatte als Scherbengericht

von Redaktion

Viel Kritik am Streit in der Union – SPD ringt um Position zu Zentren für bestimmte Geflüchtete – Hofreiter: „Mischung aus Chaos und Koma“

Berlin – Was ist denn hier los? Mittwochmorgen im Bundestag und Bundesinnenminister Horst Seehofer blickt in viele freundliche Gesichter. Das war zuletzt keineswegs immer so – aber es gibt eine Erklärung. Denn die Gratulationen, die der CSU-Vorsitzende auf der Regierungsbank entgegennimmt, gelten nicht seinen Plänen zur Zurückweisung von bereits in der EU registrierten Asylbewerbern an drei Grenzübergängen in Bayern. Sondern Seehofer hat Geburtstag. Er ist jetzt 69 Jahre alt. Blöd nur: Zum Feiern bleibt kaum Zeit. Denn Seehofer muss liefern.

Denn andernfalls könnten die neuen Grenz-Regelungen, die er Merkel mit einer Rücktrittsdrohung abgetrotzt hat, doch noch gekippt werden – etwa von den Regierungen in Wien und Rom. Dort will man unbedingt den Eindruck vermeiden, Österreich und Italien stünden bereit, um die Folgen einer deutschen Kursverschiebung in der Asylpolitik auszubaden. Seehofers anderer möglicher Gegenspieler ist die SPD, deren Mitglieder in der Asylfrage vielleicht sogar noch stärker gespalten sind als die Union.

Das Armdrücken von Seehofer und Merkel erlaubt der von schlechten Umfragewerten gebeutelten Partei an diesem Tag immerhin, sich als einzig konstruktive Kraft in der Regierung zu inszenieren. Fraktionschefin Andrea Nahles sagt: „Es ist gut, dass nun alle Teile der Bundesregierung zur normalen Arbeit zurückkehren.“ Sie klingt dabei wie eine resolute Kindergärtnerin, die zum hundertsten Mal erklären muss, dass jeder einmal rutschen darf.

„Es wird mit uns keine geschlossenen Lager geben“, sagt Nahles an diesem Tag auch. Die Union dagegen argumentiert, die geplanten Zentren seien ja nach Österreich offen. Klar ist nur: Nahles und Vizekanzler Olaf Scholz droht ein heißer Sommer, wenn sie einfach den Unionskompromiss abnicken.

Was bleibt noch von diesem Parlamentstag? Kritiker könnten Merkel ohne große Übertreibung vorhalten, sie sei in ihren altbekannten Modus zurückgefallen: Regierungspolitik per Schlaftablette. „Eine Mischung aus Chaos und Koma“, ätzt Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter.

Zuvor hatte Merkel ihre Linie zum x-ten Mal wiederholt. Migration sei die Schicksalsfrage Europas, betont sie. Zurückweisungen an der Grenze ja, aber nicht im nationalen Alleingang, nicht ohne Abstimmung und nicht zu Lasten Dritter. Seehofer checkt bei diesen Worten sein Mobiltelefon – natürlich weiß er aber, dass das gegen ihn geht. Da dürfte ihn auch das kleine verbale Geburtstagsgeschenk der Kanzlerin wenig freuen, die kurz darauf sagt: „Es muss mehr Ordnung in alle Arten der Migration kommen, damit Menschen den Eindruck haben, Recht und Ordnung werden durchgesetzt.“

Als FDP-Chef Christian Lindner Merkel und Seehofer später süffisant erklärt, dass nun der Innenminister jene Abkommen mit anderen EU-Ländern aushandeln müsse, die die Kanzlerin nicht zustande gebracht habe, kann sich Merkel ein Grinsen nicht verkneifen. Seehofer versucht, seinen Ärger nicht zu zeigen. Auch als Lindner den Asylkompromiss als „Waffenstillstand“ qualifiziert, der keine Lösung in der Sache bringe, dürften Merkel und Seehofer ihm innerlich kaum widersprechen. A.-B. Clasmann & J. Blank

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