München – Im Interview mit unserer Zeitung schildert der langjährige SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel seine Sicht auf den Unions-Streit – und warnt die Genossen davor, nur „Erfüllungsgehilfe“ der Union zu sein.
-Herr Gabriel, was sagt der ehemalige Vize-Kanzler zum Unions-Drama der vergangenen Tage?
Es sollte geradezu undenkbar sein, dass eine Regionalpartei tagelang Europa in Atem hält. Man kann nicht Trumps „America first“ kritisieren und selbst „Bavaria first“ spielen. Franz Josef Strauß würde sich im Grabe umdrehen, wenn er mitbekommen würde, dass die CSU anti-europäisch handelt. Strauß hat mal mit der Idee geliebäugelt, die CSU auf die Bundesebene auszudehnen, aber er hätte niemals bei einer Politik gegen Europa mitgemacht. Dafür war er viel zu geschichtsbewusst. Dieser Kurs hätte die Bundesregierung beinahe handlungsunfähig gemacht – und das in diesen Zeiten. Europa braucht ein starkes Deutschland.
-Sie legten Horst Seehofer noch am Montag den sofortigen Rücktritt nahe.
Es kann nicht sein, dass ein Minister eine Bundeskanzlerin erpresst. Da habe ich ein völlig anderes Regierungsverständnis. Wenn man in einer Sachfrage nicht mit der Kanzlerin übereinstimmt, muss man gehen. Das ist eine Frage der Staatsräson. Was Seehofer jetzt versucht hat, ist die ganze Regierung in Geiselhaft zu nehmen. Und die Umfragen zeigen, dass die Bürger es nicht gut heißen, wenn eine Partei versucht, das Land ins Chaos zu stürzen. Und das wäre passiert. Was Seehofer macht, hilft nur der AfD.
-Warum hat Merkel Seehofer nicht einfach fallen lassen? So einfach wie dieses Mal war es nie …
Merkel hat Seehofer nicht entlassen, weil der Bruch der Koalition auf dem Spiel stand. Aber sie weiß auch: Seehofers Zeit ist vorüber. Er bleibt nicht bis zum Ende der Legislaturperiode im Amt. Die CSU wird die absolute Mehrheit bei der Landtagswahl in Bayern nicht bekommen – dann geht das Spiel um den CSU-Vorsitz von neuem los.
-Wer hat sich durchgesetzt: Merkel? Seehofer?
Merkel natürlich. Sie hat sich europaweit und gegen die CSU durchgesetzt – und nationale Alleingänge verhindert. Das war auch richtig.
-Und Ihre SPD? Welches Zeugnis würden Sie der Führungsspitze im Asyl-Streit geben?.
Die SPD-Führung wird ganz sicher nicht zulassen, dass die CSU zuerst die CDU und jetzt die SPD mit dem Nasenring durch die Manege ziehen will. Es geht jetzt darum zu zeigen, dass wir nicht die Ausputzer der Union sind. Die SPD darf sich auch nicht in die babylonische Gefangenschaft der Union begeben. Wir sind nicht die Funktionspartei, die dem Burgfrieden zwischen CDU und CSU dient. Wir werden nicht zulassen, dass am Ende die Konservativen sagen: „Seht her, der SPD kann man alles zumuten“. Das wäre ein schlimmes Signal auch für andere wichtige Gesetzesvorhaben. Das wird die SPD-Führung gewiss nicht zulassen.
-Geht die SPD nun bei den Transitzonen mit? Vor ein paar Jahren scheiterten diese noch am Veto der SPD unter ihrer Führung.
Damals lehnten wir die Transitzonen ab, weil pro Tag tausende Flüchtlinge zu uns kamen. Die Idee, die alle zu inhaftieren, war doch Wahnsinn. Wie viele Fußballstadien hätten wir denn beschlagnahmen sollen für diese Haftzonen? Und auch, wenn es heute Gott sei Dank viel weniger sind, können wir doch nicht alle einfach inhaftieren. Da wird noch viel zu beraten sein. Warum fängt der CSU-Innenminister nicht endlich an, die vereinbarten Ankerzentren umzusetzen? Das wäre mal ein guter Schritt.
Interview: Maximilian Kettenbach