Berlin/Düsseldorf – Das Vorgehen der deutschen Behörden bei der umstrittenen Abschiebung des Islamisten Sami A. wirft immer mehr Fragen auf. Obwohl die Planungen für die Abschiebung schon weit fortgeschritten waren, tappte das zuständige Gericht bis zuletzt im Dunkeln – und konnte den Abschiebeflug nach Tunesien deshalb nicht mehr verhindern.
Die Bundespolizei habe die Abschiebung schon am 9. Juli und damit vier Tage zuvor organisiert, teilte das Präsidium gestern mit. „Das Bundespolizeipräsidium bestätigte dem Land Nordrhein-Westfalen am gleichen Tag den angefragten Flug für den 13. Juli 2018.“ Am selben Tag wurde auch das Auswärtige Amt informiert, das um die Genehmigung der tunesischen Behörden bat.
Das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen hatte am Donnerstagabend (12. Juli) entschieden, dass eine Abschiebung nicht rechtens sei, da Sami A. Folter in Tunesien drohen könne. Allerdings übermittelte es den Beschluss erst am Freitagmorgen, als das Flugzeug schon in der Luft war – weil das Gericht nicht mit einer unmittelbar bevorstehenden Abschiebung rechnete. Das Gericht will nun, dass der mutmaßliche Ex-Leibwächter des getöteten Al-Kaida-Chefs Osama bin Laden nach Deutschland zurückgeholt wird.
Die Verwaltungsrichtervereinigung NRW zeigte sich empört über den Ablauf und sprach von „Behördenversagen“. „Der offenkundige Verstoß gegen die verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen der Kolleginnen und Kollegen aus Gelsenkirchen konterkariert die seit Jahren laufenden Bemühungen um mehr Akzeptanz für gerichtliche Entscheidungen – auch wenn diese nicht jedem sofort verständlich erscheinen“, erklärte der Verband.
Auch das Verwaltungsgericht kritisierte die Behörden scharf. Die Abschiebung sei „grob rechtswidrig“ und „verletzt grundlegende rechtsstaatliche Prinzipien“, hieß es.
Unklar bleibt dabei die Rolle von Innenminister Horst Seehofer (CSU). „Ihm war es wichtig, politisch wichtig, dass eine Rückführung von Sami A. zeitnah erfolgt. Es gab keinerlei Einflussnahme auf einzelne Verfahrensschritte“, sagte eine Ministeriumssprecherin in Berlin.
Der Minister und die Führung des Bundesinnenministeriums seien zwar schon am Mittwoch über die Planungen informiert gewesen. Man habe aber nicht sicher vorhersagen können, ob der Flug stattfinden würde, da „die Entscheidungszuständigkeit bei dem Land Nordrhein-Westfalen liegt“, sagte die Sprecherin. „Weitere Termine“ für den Flug hätten im Raum gestanden. Wäre der Beschluss des Gerichts bekannt gewesen, „hätte diese Abschiebung nicht erfolgen dürfen“.
Die Bundesregierung will den Fall nun mit Tunesien besprechen. Das Innenministerium habe die deutsche Botschaft in Tunis gebeten, Kontakt mit den dortigen Behörden aufzunehmen, „um amtliche Informationen zum derzeitigen und weiteren Vorgehen in dem Fall zu erlangen“, sagte die Sprecherin.
Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) verteidigte seine Landesregierung. „Wir als Politiker haben nach Recht und Gesetz zu entscheiden, das hat die Landesregierung gemacht“, sagte er in Berlin. „Sie wissen, wann der Bescheid eingegangen ist, nämlich zu spät“, sagte Laschet zum Vorwurf, die Behörden hätten voreilig gehandelt. „Und ich denke, im Ergebnis können wir froh sein, dass der Gefährder nicht mehr in Deutschland ist.“
Laschet sagte, das Gericht habe zwei unterschiedliche Entscheidungen innerhalb einer Woche getroffen. „Wenn zwei Kammern eines gleichen Verwaltungsgerichts so entscheiden, wird da mancher seine Fragen haben“, sagte er.