Brüssel/München – Ein Schlauchboot treibt auf dem Mittelmeer, ohne Sprit, mit 40 Migranten an Bord. Ein Schiff, die „Sarost 5“, rettet die Menschen und will sie in den nächsten sicheren Hafen bringen – doch alle winken ab: Malta, Tunesien, Italien. Zwei Wochen ist das her, seitdem ankert die „Sarost 5“, die eigentlich ein reines Versorgungsschiff ist, vor Tunesiens Küste – mit 40 völlig entkräfteten Menschen an Bord.
Es ist eine von vielen Geschichten, die sich so oder ähnlich auf dem Mittelmeer abspielen. Menschen werden gerettet, niemand will sie aufnehmen, die Mittelmeerstaaten schieben sich gegenseitig die Verantwortung zu.
Um den Knoten zu lösen, haben die EU-Staats- und Regierungschefs bei ihrem Gipfel Ende Juni unter anderem die Einrichtung von Zentren vorgeschlagen, die Bootsflüchtlinge aufnehmen könnten. Die Idee war damals noch recht vage, gestern hat die EU-Kommission konkrete Vorschläge dazu gemacht. Brüssel lockt mit Geld und Man-Power.
Der Plan sieht vor, dass aus Seenot gerettete Flüchtlinge direkt in „kontrollierte Zentren“ in der EU gebracht werden. Dort soll schnell (laut Kommission in maximal acht Wochen) entschieden werden, wer ein Anrecht auf Schutz hat und wer nicht. Wer bleiben darf, soll in Europa verteilt werden. Die Einrichtung solcher Zentren ist freiwillig. Brüssel verspricht EU-Staaten, die sich dazu bereit erklären, denn auch breite Unterstützung. Sie können bis zu 315 EU-Mitarbeiter anfordern: Übersetzer, Asyl-Experten, Grenzschützer. Die Kosten sollen aus dem Brüsseler Etat gezahlt werden. Außerdem sollen die Länder selbst entscheiden können, wie viele Flüchtlinge sie in den Zentren aufnehmen – pro Migrant bekommen sie dann 600 Euro.
Eine Pilotphase könne „so schnell wie möglich gestartet werden“, heißt es in dem Papier. Einzig willige Mitstreiter fehlen noch. Aus einem der wichtigsten Länder, Italien, kam gleich gestern brüske Zurückweisung. „Wenn sie irgendjemand anderem Geld geben wollen, sollen sie das tun. Italien braucht keine Almosen“, sagte Innenminister Matteo Salvini von der rechten Lega. Italien wolle die Ankünfte reduzieren. „Wir wollen kein Geld, sondern Würde, und wir holen sie uns mit eigenen Händen zurück.“
Das ist gleich mehrfach irritierend. Zum einen haben die EU-Staaten die Einrichtung „kontrollierter Zentren“ im Juni gemeinsam beschlossen – auch auf Druck der italienischen Regierung, die darauf pocht, dass andere EU-Staaten ihr mehr Flüchtlinge abnehmen. Zum anderen führt Brüssel in dem Papier aus, wie Ankünfte reduziert werden können: durch Zentren in Nordafrika, in die Migranten gebracht werden sollen, die in internationalen Gewässern oder in Gewässern von Drittstaaten gerettet werden.
Kommende Woche will die EU-Kommission mit dem Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) und der Internationalen Organisation für Migration (IOM) darüber beraten. Die Idee: Die UNHCR könnten in den Afrika-Zentren Schutzbedürftige zur Aufnahme in die EU auswählen; die anderen müssten zurück in ihre Heimatländer und würden von der IOM unterstützt. Um zu vermeiden, dass Migranten zusätzlich angelockt werden, sollen die Zentren möglichst weit von jenen Orten eingerichtet werden, von denen sich Flüchtlinge zur Reise über das Meer aufmachen.
Die beide Konzepte sollen nach dem Willen der EU-Kommission Hand in Hand gehen. Die infrage kommenden Länder auf afrikanischer Seite will Brüssel mit enger Zusammenarbeit in den Bereichen Wirtschaft und Sicherheit locken. Bisher lehnen Länder wie Tunesien, Algerien, Libyen oder Ägypten eine solche Lösung ab.
Ohnehin will die EU-Kommission erst an diese Länder herantreten, wenn die eigenen Mitgliedsstaaten sich auf eine gemeinsame Haltung geeinigt haben. Heute sollen die Botschafter erstmals über die Vorschläge diskutieren. Migrationskommissar Dimitris Avramopoulos mahnte zur Einheit: Brüssel sei bereit, EU- und Drittstaaten zu unterstützen. „Damit dies aber vor Ort umgehend Wirkung zeigt, müssen wir gemeinsam handeln.“