Polizeirecht

Bayerns Gesetz: Muster oder Murks?

von Redaktion

Von Anne-Beatrice Clasmann

Berlin – Es war im Sommer 2017, als die Innenminister der Länder einen Beschluss für ein gemeinsames „Musterpolizeigesetz“ fassten. Thomas de Maizière (CDU) war damals Bundesinnenminister. Alle standen noch unter dem Eindruck des Anschlags auf einen Berliner Weihnachtsmarkt mit zwölf Toten. Dass der islamistische Gefährder Anis Amri in NRW und Berlin mit unterschiedlicher Intensität überwacht wurde, galt als eines von zahlreichen Problemen des Falles.

Jetzt soll der Plan umgesetzt werden. Union und SPD wollen, dass eine Verbrecherbande in Ingolstadt den gleichen Verfolgungsdruck spürt wie in Bremen. Ein „Musterpolizeigesetz“ steht als Ziel im Koalitionsvertrag. Die Stimmung hat sich aber gewandelt, seit Bayern so massiv um sein neues Polizeiaufgabengesetz stritt. Es ist seit Ende Mai in Kraft. Bayerns Grüne und die SPD halten es wegen der Möglichkeiten, präventiv Freiheitsrechte einzuschränken, in Teilen für verfassungswidrig. In anderen Regierungen gibt es Zweifel, ob ein Musterentwurf hilft.

Die Bundes-Grünen fürchten, Innenminister Horst Seehofer könne versuchen, das bayerische Modell als Vorlage zu nehmen. Die innenpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, Irene Mihalic, warnt davor, drastische Maßnahmen zur Gefahrenabwehr, die bisher vor allem von den Nachrichtendiensten genutzt wurden, flächendeckend für die Polizei auszurollen. „Alle rechtlichen Möglichkeiten, die wir heute schaffen, müssen so gestaltet sein, dass sie nicht politisch missbraucht werden können. Sie müssen auch dann noch gut funktionieren, wenn ein Innenminister zum Beispiel Alexander Gauland heißt.“ In Seehofers Haus teilt man diese Bedenken nicht. Staatssekretär Hans-Georg Engelke sagt: „Wenn Online-Durchsuchungen zur Strafverfolgung zulässig sind, dann müssen sie eigentlich für Gefahrenabwehr auch zulässig sein.“

Aktuell haben die Sicherheitsbehörden in Bayern und Rheinland-Pfalz die weitreichendsten Befugnisse. Doch andere ziehen nach. Der hessische Landtag hat im Juni beschlossen, dass die Polizei Online-Durchsuchungen und Quellen-Telekommunikationsüberwachung künftig nicht nur bei der Fahndung nach Tatverdächtigen nutzen darf, sondern auch zur Gefahrenabwehr. Sachsen will nicht ganz so weit gehen wie Bayern, bewegt sich aber auch Richtung Verschärfung.

Der CDU-Innenpolitiker Armin Schuster findet das gut. Der ehemalige Bundespolizist klagt, in Deutschland gebe es „Zonen unterschiedlicher Sicherheit“. Die Polizei sollte im Einzelfall auch neue technische Möglichkeiten nutzen können, etwa die anlassabhängige Auswertung von Mautdaten. Bei der Aufklärung eines Sexualmords an einer Joggerin im November 2016 nutzte die Freiburger Polizei Daten aus dem Abrechnungssystem für die österreichische Lkw-Maut.

Schuster und Mihalic halten eine Harmonisierung der Befugnisse zwischen den Ländern im Prinzip für wünschenswert. Denn das würde sowohl den Bürgern nutzen als auch den Polizisten selbst, die bei Großereignissen auch außerhalb des eigenen Landes eingesetzt werden. Mihalic hält es aber für unrealistisch, dass sich die Innenministerkonferenz auf ein Musterpolizeigesetz einigen wird.

Ein Beispiel für die gravierenden Unterschiede zwischen den Ländern ist der Begriff der „Gefahr“, die gegeben sein muss, damit der Polizei bestimmte Befugnisse gewährt werden. In Bayern sind massive Eingriffe in die Grundrechte der Bürger jetzt schon bei „drohender Gefahr“ erlaubt – allerdings nur mit richterlicher Erlaubnis.

Im Entwurf für das neue nordrhein-westfälische Gesetz werden die „drohende Gefahr“ und die „drohende terroristische Gefahr“ als zusätzliche Kategorien eingeführt. Dadurch werden drastische Instrumente wie Präventivhaft oder das Mitlesen verschlüsselter Messenger-Botschaften möglich. In den meisten anderen Ländern muss dagegen eine „konkrete“ oder „unmittelbare“ Gefahr vorliegen.

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