Töging am Inn – Wolfgang Biewer, die Haare weiß wie der Schaum in dem Masskrug vor ihm, sitzt unter dem dunklen Holzgebälk der Volksfesthalle in Töging am Inn (Kreis Mühldorf) und nickt. „Es ist gut, dass wir einen Bayern, einen von uns da oben haben“, sagt der 71-Jährige. Da oben, das ist Berlin. Und gemeint ist Horst Seehofer (CSU). Mit mehreren hundert anderen Besuchern in der gut gefüllten Halle, in der wegen der Sommerhitze nur das Bier reichlicher fließt als der Schweiß, wartet Biewer auf die Rede des CSU-Bundesinnenministers.
Als der schließlich mit einer guten halben Stunde Verspätung gegen 20 Uhr ans Pult tritt, hört man, dass er in Töging nicht nur Freunde hat. Eine Handvoll Trillerpfeifenträger hat sich eingeschlichen, ein junger Mann hält ein Schild hoch: „Abhorstung sofort“. Auch als die Protestierenden gehen müssen, schrillen von draußen während Seehofers knapp vierzig Minuten langer Rede weiter die Trillerpfeifen von gut zwei Dutzend Demonstranten in die offene Halle.
Es ist ein Wahlkampf-Auftritt. Doch einer, bei dem die Stimmung des Publikums zuvor schwer einzuschätzen war – stand Seehofer doch jüngst im Zentrum einer handfesten Regierungskrise. Der Streit um die Asylpolitik, das zwischenzeitliche Chaos innerhalb der Union und seine zunächst ausgesprochene und dann wieder zurückgenommene Rücktrittsforderung hatten auch unter treuen CSU-Anhängern für Unmut gesorgt. Dazu kommt, dass Seehofers Partei nur noch bei aus ihrer Sicht miserablen 38 bis 39 Prozent liegt. In einer Umfrage von Sat.1 Bayern vom Mittwoch sagten 52 Prozent von ihnen, der Bundesinnenminister koste die Partei Wählerstimmen.
Doch als Seehofers heikles Heimspiel erst einmal in Fahrt kommt, ist davon in Töging nichts zu spüren: Blickt er nach einer Ansage in die Runde, folgt der gewünschte Applaus postwendend und lautstark. Bayerns Ex-Ministerpräsident erwähnt Markus Söder, seinen Nachfolger, nur am Rande. Umso ausführlicher verteidigt er dafür seine Haltung in der Asylpolitik und nutzt die Unterstützung des Publikums für eine Breitseite gegen seine Kritiker: „Jetzt steht also der böse Seehofer vor Ihnen – der Mörder, der Terrorist, der Rassist“, sagt er. Die Auseinandersetzungen der vergangenen Wochen, die ihn fast sein Amt gekostet hätten, seien Teil einer gezielten Kampagne gewesen. Mit Vorwürfen „weit unter der Gürtellinie“. Seitens der Opposition, der Medien, aber auch von einzelnen aus der eigenen Partei. „Die bekommen ja keine Aufmerksamkeit, wenn sie sich nicht am Parteivorsitzenden reiben“, sagt Seehofer. Und kündigt eine Gegenoffensive an: Nach der Sommerpause werde er selbst twittern. „Ich sehe mich jetzt gezwungen, weil ich manche Wahrheiten sonst nicht unter eine breitere Bevölkerung bekomme.“ So deftig wie bei US-Präsident Donald Trump soll es bei seinen Internet-Kurznachrichten aber nicht zugehen. Trotzdem: „Viele werden sich in den kommenden Wochen noch wundern“, verspricht Seehofer und verlässt dann die Bühne.
Unter stehendem Applaus – zumindest jener Zuhörer, die an den Tischen sitzen, die für die CSU-Ortsverbände aus der Region reserviert sind. Wolfgang Biewer, inzwischen eine Mass Bier weiter, ist zufrieden. „Der Seehofer hat es so gesagt, wie es ist“, findet er. Und auch der Innenminister selbst wirkt mit sich zufrieden, schüttelt Hände, gibt Autogramme und hört sich die Anliegen einiger Menschen aus der Menge an. Dann steigt er in seine Limousine, die in die Dämmerung davonbraust. Glaubt man zuvor genannter Umfrage, wonach nur 34 Prozent der Befragten mit seiner Arbeit als Innenminister zufrieden sind, hätte sein Abend deutlich schlechter laufen können.