Gewaltsame Übergriffe

Italiens großes Rassismusproblem

von Redaktion

von Julius Müller-Meiningen

Rom – Zehn Monate lang war Daisy Osakue nicht in Italien. Die Diskuswerferin, die in einigen Tagen an der Leichtathletik-EM teilnehmen will, studiert Rechtswissenschaften in Texas. Nun ist sie zurück in Turin und bereitet sich auf den Wettbewerb in Berlin vor. Doch nicht ihre sportlichen Ambitionen haben sie in die Schlagzeilen gebracht, sondern ein Vorfall von Sonntagnacht. Zwei Jugendliche fuhren im Auto an der 22-Jährigen vorbei und warfen ihr ein rohes Ei ins Gesicht. Osakue trug eine Verletzung am linken Auge davon.

Der Vorfall reiht sich ein in eine Serie von Übergriffen in den letzten Wochen. Die dunkelhäutige Leichtathletin erkennt Italien nicht wieder: „Nach meiner Rückkehr habe ich ein verändertes Land angetroffen“, sagte sie. „Es ist traurig, aber man spürt die Anspannung.“

Die Zuspitzung der Atmosphäre fällt zeitlich zusammen mit der rigiden Ausländerpolitik der neuen Regierung aus Fünf-Sterne-Bewegung und Lega, die einen unerbittlichen Kurs gegen Einwanderer fährt. 72 Prozent der Italiener äußerten sich vor Wochen in einer Umfrage positiv über die Politik von Innenminister Matteo Salvini, der eine Kampagne gegen die Flüchtlingshelfer im Mittelmeer fährt, die Verschärfung des „Notwehr-Gesetzes“ gegen Einbrecher anstrebt, den Erwerb von Waffen erleichtern will und über die sozialen Netzwerke die Stimmung anheizt. „Diesmal war es ein Ei“, sagt Osakue, „das nächste Mal könnte es ein Stein, eine Flasche oder was weiß ich was sein“.

Woanders sind ihre Befürchtungen schon Realität. Am Montag starb ein Marokkaner in Latina bei Rom. Anwohner hatten ein ihnen verdächtiges Auto gesehen und waren diesem gefolgt. Dabei kam das Auto des Marokkaners von der Straße ab. Der unbekannte Fahrer konnte zu Fuß fliehen, Hady Z. hingegen geriet in die Hände seiner Verfolger, die ihn verprügelten. Ob sein Tod durch den Unfall oder die Schläge und Tritte eintrat, soll durch eine Obduktion festgestellt werden.

Der Tod des vorbestraften Marokkaners ist der bislang dramatischste Akt in einem Klima der Eskalation. Seit Anfang Juni wurden etwa ein Dutzend Gewaltakte verübt, vor allem gegen Afrikaner sowie Sinti und Roma.

Besondere Entrüstung rief die Tat eines 59-Jährigen in Rom Mitte Juli hervor, der mit einem Luftgewehr von einem Balkon auf ein Roma-Mädchen schoss, das in den Armen seiner Mutter lag. Das 13 Monate alte Kleinkind wurde an der Schulter verletzt. In Caserta bei Neapel wurden zuletzt zwei junge Männer aus Mali mit einer Luftdruckpistole verletzt. Die von einem Auto aus schießenden Täter sollen im Vorbeifahren „Salvini, Salvini“ gerufen haben.

Ganz neu ist das gewalttätige Klima in Italien gleichwohl nicht. Bereits während des Wahlkampfs im Februar hatte der 28-jährige Luca T. in der mittelitalienischen Kleinstadt Macerata dutzende Schüsse auf Afrikaner abgegeben, dabei sechs Menschen verletzt und ausländerfeindliche Parolen skandiert. Osakue sieht auch die Medien in der Verantwortung: „Die Menschen kleben vor den Fernsehern und wenn man ihnen ständig Hass vermittelt, erntet man am Ende eben auch Hass.“

Längst beschäftigt die Eskalation auch die Politik. Staatspräsident Sergio Mattarella verglich Italien bereits mit einem gesetzlosen Land. Nach den Schüssen auf das Roma-Mädchen sagte er: „Italien darf kein Wilder Westen werden.“ Auch der Vorsitzende der italienischen Bischofskonferenz, Kardinal Gualtiero Bassetti, verurteilte den Rassismus. „Wir wälzen unsere Unzufriedenheit auf Ausländer ab, dabei haben die Probleme ganz andere Ursachen, die wir nur mit Mühe erkennen.“

Innenminister Salvini hingegen bleibt bei seiner Position und versammelt damit offenbar einen nicht geringen Teil seiner Landsleute hinter sich: Der Rassismus-Vorwurf sei verrückt, sagte er. „Ich erinnere daran, dass in Italien jeden Tag 700 Straftaten von Ausländern begangen werden, also beinahe ein Drittel aller Delikte. Das ist der wahre Notstand, gegen den ich als Minister kämpfe.“

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