Vormarsch der Regierungstruppen

Assads nächstes Ziel heißt Idlib

von Redaktion

von Marcus mäckler

München – Der Name soll für Schlagkraft stehen, auch wenn die wohl nur eine Illusion ist. „Nationale Befreiungsfront“ – so nennen sich jene sechs Islamisten-Gruppen, die sich in der syrischen Provinz Idlib zusammengetan haben. Es ist der Versuch, im Angesicht des nahenden Unheils doch noch ein Bollwerk gegen die Truppen von Machthaber Baschar al-Assad zu formieren. Man wolle „alle Versuche des Regimes zum Vorrücken“ verhindern, sagte ein Sprecher des Bündnisses denn auch. Wie verriet er nicht.

Der Kampf um die Südprovinz Daraa ist weitgehend entschieden, wie zu erwarten war zugunsten des Regimes. Darum nimmt Assad nun Idlib ins Visier, die letzte große Rebellenhochburg des Landes. Sie sei das nächste Ziel, erklärte er russischen Medien gegenüber und schwärmte in einem Brief anlässlich des 73. Jahrestags der Gründung der Streitkräfte: „Der Zeitpunkt unseres Sieges ist nahe.“

Tatsächlich ist die Situation in und um Idlib eine besondere. Hierher sind viele Rebellen aus anderen Landesteilen geflüchtet, teils sogar mit der Erlaubnis des Regimes. Das hatte die gegnerischen Kämpfer sowohl in Daraa als auch davor in Ost-Ghuta vor die Wahl gestellt: Im Bombenhagel um ihr Leben bangen oder nach Idlib flüchten, das als Deeskalationszone gilt. Viele entschieden sich für letzteres, was es der syrischen Armee erleichterte, die umkämpften Gebiete einzunehmen. In und um Idlib tummeln sich seither neben der „Nationalen Befreiungsfront“ vor allem Kämpfer der Islamisten-Miliz Tahrir al-Sham, die noch immer als militärisch stark gilt.

Assad wird eine Konfrontation lieber heute als morgen suchen. Denn ein Sieg über die letzte große Islamisten-Hochburg wäre ein Riesenschritt zur finalen Rückeroberung des Landes. „Der Konflikt tritt jetzt in eine neue Phase ein“, sagte Noah Bonsey von der International Crisis Group unlängst der „Jerusalem Post“. Vom nahenden Ende des Krieges zu sprechen, sei aber verfrüht, „da große Teile des Landes nicht in Regierungshand sind“.

Noch nicht. Neben Idlib und einigen versprengten Enklaven, in denen sich die Reste der Terrormiliz IS aufhalten, entziehen sich auch die Kurdengebiete im Nordosten dem Zugriff Assads. Berichten zufolge verhandeln sie aber seit Tagen mit Damaskus über einen Handel: die Rückgabe nicht-kurdischer Städte wie Rakka im Tausch gegen Autonomierechte. Auf ihre bisherige Schutzmacht, die USA, wollen sich die Kurden nicht mehr verlassen.

Zum Problem könnte ein weiterer Umstand werden: Mit Afrin kontrolliert auch die Türkei syrisches Gebiet. Außerdem stützt sie Islamisten-Gruppen in Idlib und überwacht die dortige Waffenruhe. In Ankara beobachtet man genau, was Assad tut, schon weil eine Offensive gegen Idlib wohl weitere Flüchtlinge an die türkische Grenze treiben würde. Entsprechend deutlich erklärte Präsident Recep Tayyip Erdogan, einen Angriff werde er nicht akzeptieren. Vorbereitungen für eine Konfrontation laufen indes schon: Am Freitag wurden türkische Laster gesichtet, die meterhohe Beton-Schutzwände nach Idlib transportierten.

Die Situation zwischen der Türkei und Syrien ist explosiv und den Intimfeinden Assad und Erdogan scheint eine Eskalation durchaus zuzutrauen. Völlig offen ist zudem, wie Assads Verbündete aus Russland und dem Iran reagieren. Bei den Syrien-Gesprächen in Sotschi trat der russische Gesandte Alexander Lawrentiew am Dienstag jedenfalls vorsorglich auf die Bremse und betonte, eine groß angelegte Offensive auf Idlib komme „derzeit nicht infrage“.

Als Zeichen der Entspannung darf immerhin gelten, dass die Türkei mit den Vereinten Nationen, Russland und dem Iran über die Zukunft Syriens spricht. Bald soll es Verhandlungen über eine Verfassungskommission geben. Russland will zudem über die Rückkehr von Flüchtlingen beraten. Dazu gab es auch schon Gespräche mit Kanzlerin Angela Merkel.

Die Unwägbarkeiten sind groß, Assad gibt sich trotzdem siegessicher. Im oben erwähnten Brief schrieb er: Der Verlust von Ost-Ghuta und Co. habe „den Aufständischen einen Vorgeschmack ihrer bitteren Niederlage“ gegeben.

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