Die Zeit der Diktatoren, so heißt es, sei vorbei. Eine Zeit, in der Dirigenten ihre Orchestermitglieder beleidigten, vorführten, sie heruntermachten. Und auch wenn es in der Branche noch einige dieser Dinos gibt: Eine Kollegialität hat Einzug gehalten, die bei vielen Stars aus der Einsicht gespeist ist, dass sie auf andere Weise ihren musikalischen Willen nicht bekommen.
Die Selbstherrlichkeit allerdings, der Narzissmus, die Hybris, all dies ist in vielen Fällen geblieben, nur getarnt von der Maske des milden, verständnisvollen Chefs. Das zeigen gerade die beunruhigend vielen Vorwürfe von sexuellem Machtmissbrauch. Tatsächlich ist der Dirigent einer der letzten autokratischen, allgewaltigen, vordemokratischen Berufe. Einer, der entscheidet, wie und was gespielt wird – und das betrifft, wie man gerade angewidert verfolgt, auch das Geschehen abseits des Podiums.
Angesichts der Missbrauchsaffären fällt es schwer, von Positivem zu sprechen. Und doch zeichnet sich eine Revolution ab, die immer häufigeren Enttarnungen zeigen es. An deren Ende könnte eine notwendige Neudefinition des Dirigentenberufs stehen. Voraussetzung dafür ist, dass Frauen und Männer, die von Übergriffen betroffen sind, Mut fassen. Je mehr an die Öffentlichkeit dringt, umso leichter ist es, sich dieser Lawine anzuschließen. Es gibt noch genügend Stars, die beim Aufschlagen der Zeitung das Zittern überkommt. Es geschieht ihnen recht.
Markus Thiel
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