Madrid – Als Pedro Sánchez am 1. Juni spanischer Ministerpräsident wurde, war der Jubel im Kanzleramt sicher verhalten. Sein Vorgänger Mariano Rajoy galt als enger Verbündeter. Dass Sánchez, früher ein scharfer Kritiker der Kanzlerin, ihr nur wenig später im Migrationsclinch mit der CSU einen Rettungsring zuwerfen würde, konnte in Berlin damals ja niemand ahnen. Jetzt besucht Angela Merkel ihren „Retter“, wie man in Madrid süffisant scherzt, in dessen Sommerresidenz.
Spanien ist seit Montag das erste EU-Land, mit dem Berlin ein Abkommen zur Rücknahme von Asylbewerbern unterzeichnete. Im Madrid spricht man von einer „Geste“ zur Unterstützung Merkels, da man nur mit kaum mehr als hundert Rücküberstellungen pro Jahr rechne. Migration soll auch beim informellen Treffen am Samstag und Sonntag in der Finca Las Marismillas im Fokus stehen. Berlin und Madrid hätten hier „einen gemeinsamen Ansatz“, betont die spanische Regierung.
Anders als sein zaudernder Vorgänger fährt Sánchez in der Migrationspolitik einen mutigen Kurs. Seit Italien und Malta den privaten Seenotrettern die Einfahrt in ihre Häfen verweigerten, nimmt Spanien sich immer wieder geretteter Flüchtlinge an. Es begann am 17. Juni mit der Aufnahme der 629 Geretteten der „Aquarius“. Erst am Donnerstag lief das Schiff „Open Arms“ mit 87 Migranten in die Bucht von Algeciras ein.
Daneben beschloss Sánchez, die (rund 800 000) illegal in Spanien lebenden Menschen wieder ins Gesundheitssystem aufzunehmen. Rajoy hatte sie 2012 ausgeschlossen. Zeichen setzte Madrid auch mit der Ankündigung, die messerscharfen Klingen an den Zäunen der Exklaven Ceuta und Melilla zu entfernen.
Wird Spanien, das zum neuen Hauptziel der Mittelmeer-Flüchtlinge geworden ist, damit vom Urlauber- auch zum Flüchtlings-Eldorado? Und kann sich Sánchez diese gewagten Vorstöße innenpolitisch leisten?
Nach jüngsten Zahlen der Internationalen Organisation für Migration (IOM) sind dieses Jahr bis zum 5. August von Nordafrika aus 23 741 Flüchtlinge auf dem Seeweg in Spanien angekommen, mehr als im Gesamtjahr 2017 (21 600). Auf EU-Territorium gelangen Migranten aber auch über die Exklaven Ceuta und Melilla an der Nordküste Afrikas.
Die Spanier haben bisher kaum protestiert, im Gegenteil: An Rathäusern prangen Plakate mit der Aufschrift „Flüchtlinge willkommen!“. Supermarktketten spenden Lebensmittel, tausende Bürger melden sich, um Flüchtlinge aufzunehmen. Doch es ist nicht alles Gold, was glänzt.
Das spanische Flüchtlingshilfswerk CEAR klagt, dass 2017 von 13 850 Asylanträgen nur 35 Prozent positiv beschieden wurden. Die Quote liege damit rund zehn Punkte unter EU-Schnitt. Die abgewiesenen Migranten werden in ihre Heimatländer zurückgeschickt. Menschenrechtsgruppen monieren die „menschenunwürdigen“ Zustände in den total überfüllten Internierungszentren und Erstaufnahmezentren.
Die einflussreichen konservativen Medien und die rechte Opposition klagen, Spanien erlebe eine „Flüchtlingslawine“. Kritik gegen Sánchez regt sich aber auch in den eigenen Reihen. Am Donnerstag beschwerte sich die sozialistische Regionalregierung Andalusiens erstmals über zu geringe Finanzhilfe aus Madrid und die holprige Verteilung der Migranten auf andere Regionen Spaniens.
Sánchez bleibt bei seinem Kurs, wenn er auch versucht, dem Abkommen mit Deutschland Zündstoff zu nehmen. Berlin habe sich verpflichtet, die Kosten für die Rücküberstellung der Migranten zu übernehmen und wolle Spanien beim Schutz der EU-Außengrenze finanziell unterstützen, sagte er. Der Generalsekretär für Internationale Angelegenheiten, José Manuel Albares, ergänzte: Die Flüchtlinge seien Sache von ganz Europa. Man müsse sich gegenseitig helfen. Emilio Rappold