samstagsKolumne

Nur eine Sandbank im Wattenmeer

von Redaktion

Es heißt, wir kehren immer wieder zurück zur ersten Liebe unseres Lebens. Aber das ist nicht der einzige Grund, dessentwegen wir auch diese Sommerferien wieder auf der Nordsee-Insel Juist verbracht haben. Natürlich erinnere ich mich noch an den großen Wandertag meiner kleinen Grundschule an der Küste, der uns 1948 schon hierher führte. Das Kurhaus und alle besseren Einrichtungen waren besetzt von englischen Soldaten, unsere Besatzungsmacht. Wir Steppkes drückten uns die Nase platt an den Fenstern solcher „off-limits“-Gebäude. Aber wir hätten ja sowieso nicht das Geld gehabt, ein Lokal zu besuchen. Wir verzehrten unser mitgebrachtes Picknick am Strand in Form von Butterbroten und Kartoffelsalat aus Marmeladengläsern.

Nach 70 Jahren aber scheint es fast, als ob die Zeit stehen geblieben ist im äußerst schlichten Inseldorf. Unverändert fahren die Pferdewagen zum Transport von Material wie Kurgästen. Die werden aber kaum mehr in einer Zeit, in der Traumstände der Welt für wenig Geld in wenigen Flugstunden erreichbar sind. Die Reichen und Schönen mit ihrem flotten Leben sucht man daher hier vergeblich. Dafür gehört unsere Insel den jungen Familien mit Kindern.

Überall treffen wir sie. Schon beim Bäcker morgens ist es rührend anzuschauen, wie die ganz Kleinen an der Kasse die volle Hand mit dem Geld hinhalten. Der Kaufmann sucht heraus, was er braucht und „Hast Du auch nichts vergessen?“ Manche kommen aber auch im Trupp. Da sind dann 7- oder 8-Jährige dabei, die schon genau mit Geld umzugehen wissen und es den Kleineren zeigen.

Vor allem die kleinen Mädchen kommen immer wieder zu unserem Platz, um die kleine Pina zu streicheln, unsere junge Hundedame. Die macht sich wenig aus dem bezaubernden Kinderlächeln, dankt kurz für das Streicheln mit Schwanzwedeln.

Und da ist der kleine, vielleicht 7-jährige Junge, den wir bitter weinend alleine am Aufgang zum Strand finden. Sein Papa hat ihm gesagt, er wolle mit ihm nichts mehr zu tun haben, weil er nicht gehorcht hat. Nun hat er Angst vor Papa, weil der „immer so ausflippt“. Wir trösten mit schwerem Herzen, aber zum Glück sehen wir ihn am nächsten Tag fröhlich am Strand spielen mit einem Papa, der zum Glück nicht aussieht wie ein Berserker.

Oh seliges Kinderglück, wo auch Unordnung und frühes Leid, kaum erlebt, schon vergessen sind.

Vor 70 Jahren lebten wir Kinder bescheiden in einer für uns heilen Welt. Der Lehrer hatte den brennenden Himmel über der Stadt Emden nach dem verheerenden Bombenangriff gesehen. Sein Bericht von dem, was noch keine fünf Jahre zurücklag, war uns tiefste Vergangenheit. Heute ist unsere freie demokratische, westliche Werteordnung, die privates Glück in den Mittelpunkt stellt, wieder mehr bedroht, als dies in den letzten 70 Jahren der Fall war. Wir müssen darum kämpfen, Menschenwürde und Freiheit zu bewahren. Nicht für uns Alte, mehr aber für die Kinder, deren Lächeln unsere Urlaubstage auf der kleinen Sandbank begleitet hat.

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