Venezuelas Exodus: Hunderttausende auf der Flucht

von Redaktion

Immer mehr Menschen fliehen vor Hunger, Gewalt und politischer Unterdrückung aus dem einst reichen südamerikanischen Land

Pacaraima – Einen Monat war Pedro unterwegs. Mit nichts als der Kleidung, die er am Leib trug, und einem Rucksack samt Handtuch und Zahnbürste floh der junge Mann aus Venezuela, durchquerte Brasilien und landete schließlich in Uruguay. In seiner Heimat ließ er Elend und Unterdrückung zurück, doch gleich auf der anderen Seite der Grenze erwartete ihn erneut die Hölle. „Was ich im Flüchtlingslager in Roraima erlebt habe, wünsche ich nicht meinem ärgsten Feind“, erzählt der 27-Jährige der uruguayischen Zeitung „El País“.

Er sah, wie sich seine Landsleute um einen Apfel prügelten, weinte um ein Kind, das an Masern starb, und war schockiert, als ihm Sex für zwei Stück Brot angeboten wurde. „Dort herrscht das Gesetz des Dschungels“, sagt Pedro. „Die, die wenig haben, versuchen jene übers Ohr zu hauen, die mehr haben. Und die, die mehr haben, nutzen jene aus, die weniger haben.“

Südamerika erlebt derzeit die wohl größte Flüchtlingskrise seiner Geschichte. In Scharen fliehen die Venezolaner aus ihrer Heimat, wo selbst Grundnahrungsmittel wie Mehl, Reis und Öl rar geworden sind und die Regierung immer härter gegen Andersdenkende vorgeht. Durch Korruption und Misswirtschaft geht die Erdölförderung immer weiter zurück, das Land verfügt kaum noch über Devisen. Nach Angaben der Vereinten Nationen haben bislang 2,3 Millionen Venezolaner in anderen Ländern Zuflucht gesucht. Das wären rund sieben Prozent der Gesamtbevölkerung. Die venezolanische Opposition geht sogar von bis zu vier Millionen Flüchtlingen aus. Allein 870 000 haben sich im Nachbarland Kolumbien niedergelassen, 400 000 zogen weiter nach Peru, 385 000 nach Ecuador. Es werden täglich mehr.

Um den Massenansturm zu bremsen, verlangt Ecuador von den Venezolanern bei der Einreise aus Kolumbien nun Pässe. Peru will am kommenden Wochenende nachziehen. Bislang konnten die Venezolaner mit ihren Personalausweisen einreisen, Reisepässe sind in dem Krisenstaat nur schwer zu bekommen.

„Pässe zu verlangen, wird die Migration nicht stoppen“, sagt der Leiter der kolumbianischen Einwanderungsbehörde, Christian Krüger. „Das fördert lediglich die irreguläre Einwanderung, die informelle Arbeit, die Ausbeutung.“ In Quito, Lima und Bogotá gehören die fliegenden Händler aus Venezuela längst zum Straßenbild, auch im weit entfernten Buenos Aires hört man in Modeläden, Restaurants und Taxis immer häufiger Spanisch mit venezolanischem Akzent.

Die Nachbarländer geraten bei der Integration der Flüchtlinge aus Venezuela zunehmend an ihre Grenzen. Zuletzt fiel in dem brasilianischen Grenzort Pacaraima ein aufgebrachter Mob über Venezolaner her und setzte deren Habseligkeiten in Brand. Rund 1200 Venezolaner flohen nach den Ausschreitungen zurück in ihre Heimat.

Während die meisten Venezolaner in der Umgebung Zuflucht suchen, kehrt die Oberschicht der Region ganz den Rücken und setzt sich nach Miami oder gleich nach Spanien ab. In Madrid kaufen immer mehr wohlhabende Venezolaner Luxusimmobilien, wie die Wirtschaftszeitung „El Economista“ berichtet. Denis Düttmann

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