GROSSE KOALITION

Frieden auf dem Prüfstand

von Redaktion

von J. Blank, A. Clasmann und Sascha Meyer

Berlin – Oberflächlich betrachtet ist es für die Spitzen der Koalition eine Rückkehr aus der Sommerpause in ungewohnter Harmonie. Keine neue Rücktrittsdrohung von Innenminister Horst Seehofer. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) gibt sich wie der CSU-Chef und ihr Vizekanzler und Finanzminister Olaf Scholz (SPD) zuversichtlich, dass die Änderungen bei der Rente und der Arbeitslosenversicherung rasch kommen. Doch der Streit brodelt weiter.

Alle drei Seiten dürften sich nach dem katastrophalen Bild, das die Koalition im Frühsommer abgegeben hat, vorgenommen haben: So darf es nicht weitergehen. Doch ob das mit der neuen Harmonie wirklich klappt?Noch bevor die drei wichtigsten Vertreter der Koalition am Samstagabend im Kanzleramt bei Cordon bleu und Pommes über die nächsten Wochen beraten, gibt es schon neuen Unmut in den schwarz-roten Reihen. Nicht nur, dass das nächtliche Treffen eigentlich geheim bleiben sollte – und dann doch die Kamerateams vor der Regierungszentrale stehen.

Seehofer hatte die öffentliche Erwartungshaltung an das als routinemäßige „Vorsondierung“ deklarierte Dreier-Treffen vorher in die Höhe geschraubt: „Die Probleme sind riesig, die wir heute Abend besprechen“, sagt er in einer „Bürger-Pressekonferenz“. Die Ankündigung dürfte weder Merkel noch Scholz gefallen haben.

Am Sonntagmorgen ist dann klar: Ein Ergebnis gab es bei den stundenlangen Beratungen im Kanzleramt nicht. Jetzt soll eine Art Koalitionsrunde am Dienstag letzte Fragen klären.

Dass aber alle Seiten der Koalition intensiv nach Rezepten suchen, wie sie sich stärker profilieren und ihre auch zur AfD abgewanderte Anhängerschaft zurückgewinnen können, zeigt deutlich ein Schlagabtausch zwischen Kanzlerin und ihrem Vize am Sonntag. Ausführlich grenzt sich Scholz da in einer Befragung durch Bürger am Rande des Tags der offenen Tür der Bundesregierung scharf vom Rentenkurs der Union ab.

Doch Merkel keilt nur wenige Stunden später zurück und setzt beim Drängen der SPD auf Rentengarantien bis 2040 ein ungewöhnlich deutliches Warnsignal. Jetzt solle man erst mal die gemeinsam eingesetzte Rentenkommission arbeiten lassen. „Ich glaube, im Augenblick jeden Tag etwas anderes mitzuteilen, schärft eher die Verunsicherung, als dass es Sicherheit schafft“, sagt sie im „Sommerinterview“ der ARD-Sendung „Bericht aus Berlin“.

Und was macht Seehofer? Im „Sommerinterview“ der ZDF-Sendung „Berlin direkt“, sagt der Bayer, er halte eine Neuauflage der Regierungskrise in diesem Herbst für ausgeschlossen. Die große Koalition werde „jetzt Woche für Woche wichtige Entscheidungen bei der Rente, bei der Arbeitslosenversicherung, bei der Mietpreisentwicklung, beim Fachkräftezuwanderungsgesetz“ treffen. Dass Merkel später nahezu gleiche Formulierungen verwendet, mag noch Zufall sein.

Doch als der CSU-Chef auch auf die Frage nach Differenzen mit der SPD ganz ähnlich wie die Kanzlerin mit dem Satz „Die SPD soll die Leute nicht verunsichern“ antwortet, macht deutlich: Merkel und Seehofer dürften ihren Kurs gegenüber der SPD akribisch abgestimmt haben.

Gut möglich also, dass sich CDU, CSU und SPD bis zu den wichtigen Landtagswahlen in Bayern und Hessen im Oktober bemühen, gemeinsam Handlungsfähigkeit zu demonstrieren. Doch eines scheint klar: Mehr als ein Zweckbündnis dürfte die dritte große Koalition Merkels kaum werden.

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