Bernd Fabritius im Interview

„Heimat ist ein Gefühl“

von Redaktion

Wir treffen uns zum Interview mit dem Präsidenten des Bundes der Vertriebenen und Regierungsbeauftragten für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten, Bernd Fabritius (CSU). Er spricht über Spätaussiedler und die AfD, Kriegsflüchtlinge und die Werte einer freien Gesellschaft sowie warum die Uno endlich „ethnische Säuberungen“ verbieten muss.

-Herr Fabritius, Sie sind als Siebenbürger Sachse in Rumänien geboren und aufgewachsen, als 18-Jähriger mit ihrer Familie vor 35 Jahren nach Deutschland übergesiedelt. Wo ist Ihre Heimat?

Meine Heimat ist ganz eindeutig in Deutschland, wo ich die meiste Zeit meines Lebens verbracht habe. Doch Siebenbürgen wird ebenso immer Heimat bleiben. Heimat ist für mich nicht nur ein geografischer Ort, sondern ein Gefühl. Man kann Heimat in einer Gemeinschaft haben, in einer Glaubens-, in einer ethnischen Gemeinschaft. Ich empfinde Heimat, wenn ich in Kanada im Kreise von Siebenbürger Sachsen bin, in meiner Mundart spreche, Siebenbürgische Küche vorgesetzt bekomme. Heimat ist eine ganz besondere Topografie des Herzens, die man auch mit sich tragen kann.

-Tragen Vertriebene, die Ihre deutsche Heimat im und nach dem Zweiten Weltkrieg verlassen mussten, die alte Heimat im Herzen?

Das nehme ich so wahr. Es gibt interessanterweise eine von Soziologen herausgefundene Altersgrenze, ab der man heimatlich empfindet. Das ist etwa das Alter ab sechs, sieben Jahren. Es gibt Heimat in unterschiedlicher Dimension. Meine Eltern sagen, wenn sie nach Siebenbürgen reisen, wir fahren nach Hause. Nach zwei Wochen sagt meine Mutter: Es ist Zeit, wieder nach Hause zu fahren – und meint damit Bayern. Heimat ist dort, wo man sich zu Hause fühlt.

-Warum haben Sie und Ihre Familie seinerzeit die Heimat im Rumänien der Ceaucescu-Diktatur verlassen?

Weil der Staat Rumänien uns die Heimat streitig gemacht hat. Ceaucescu hat damals eine rigide Assimilierungspolitik betrieben. Er wollte die bösen Deutschen zu guten Rumänen machen. Auf der anderen Seite hat Ceaucescu seine Deutschen als Exportschlager, als Verkaufsgut gehätschelt und vorgezeigt. Wir durften Deutsch sprechen, hatten deutsche Schulen. Der Diktator wollte damit außenpolitisch punkten, etwa die Meistbegünstigungsklausel im Handel mit westlichen Staaten bekommen. Der damalige Bundespräsident Karl Carstens hat unsere Schule in Hermannstadt besucht. Nach dem Besuch jedoch wurden die Repressionen fortgesetzt. Meine Eltern haben die Heimat in Siebenbürgen verlassen, damit ihre Kinder nicht zu Rumänen werden mussten. Ich hätte dort nie Jura studieren dürfen.

-Raten Sie heutigen Siebenbürger Sachsen: Kommt nach Deutschland?

Nein. Wenn ich heute noch in Rumänien lebte, würde ich dort bleiben. Es ist wichtig, dass Minderheiten, dort, wo sie angestammt leben, die geeigneten Rahmenbedingungen bekommen. Das gilt für Russland, genauso wie für die Ukraine, Kasachstan, Rumänien oder andere Staaten. Mein Bestreben ist, dass die Menschen bleiben können, wo sie sind, dass sie dort ihre kulturelle Verortung stärken und behalten können. Dazu gehören die deutsche Sprache, deutscher Unterricht oder Traditionen und Bräuche. Deshalb unterhalten wir bilaterale Kontakte zu den jeweiligen Regierungen, um dafür zu sorgen, dass die Menschen in ihrer Heimat bleiben können.

-Aus den Staaten der ehemaligen Sowjetunion sind seit Anfang der 90er Jahre rund drei Millionen Spätaussiedler nach Deutschland gekommen. Sitzt der Rest auf gepackten Koffern?

Sie sitzen nicht mehr auf gepackten Koffern. Das ist auch das Ergebnis jahrelanger Arbeit der Aussiedlerbeauftragten. Mein Ziel ist es, die deutschen Minderheiten zu ermutigen, in ihren angestammten Siedlungsgebieten als selbstbewusste Deutsche und loyale Bürger ihres Landes wohnen zu bleiben.

-Russlanddeutschen wird eine besondere Nähe zur AfD nachgesagt. Sie würden vor allem die Rechtspopulisten wählen. Wie erklären Sie das?

Das ist nicht zutreffend. Sie können nicht aus der Tatsache, dass die AfD in drei, vier Wahlbezirken vergleichsweise viele Russlanddeutsche Wähler hat, verallgemeinern. Nach einer Studie haben 14,5 Prozent von ihnen AfD, aber 21 Prozent die Linke gewählt. Allerdings trifft es zu, dass Spätaussiedler konservativen Werten – Familie, Zusammenhalt, Tradition – sehr nahe stehen. Das ist eine Konsequenz ihrer Sehnsucht nach Heimat. Wenn dieses Gefühl in Deutschland jedoch enttäuscht wird, wenn sie auf Gleichgültigkeit treffen, wenn sie als „Russen“ missverstanden werden, dann produziert das Enttäuschung, wird ihre Beheimatung in Deutschland schwieriger.

-Können syrische Kriegsflüchtlinge in Deutschland eine neue Heimat finden?

Dass sie eine neue Heimat finden können, glaube ich sicher. Wir müssen Heimat bieten wollen. Diese Bereitschaft sehe ich in weiten Teilen. Die Menschen müssen allerdings auch eine Heimat finden wollen. Allerdings gehen die Vorstellungen über Heimat auseinander. Suchen sie eine Heimat nach ihren Vorstellungen, ihrem Kulturkreis, in dem Frauen quasi Eigentum des Mannes sind, dann werden sie enttäuscht. Wenn sie jedoch eine freie, tolerante Gesellschaft suchen, dann finden sie die bei uns.

-Sie sind seit 2014 Präsident des Bundes der Vertriebenen. Warum engagieren Sie sich in dem Verband, der Jahrzehnte lang als rückwärtsgewandt galt, an dessen Spitze ehemalige Nazis standen?

Der Bund der Vertriebenen und die Landsmannschaften waren und sind ein Spiegelbild der Gesellschaft. Es hat darin ebenso einstige Nazis gegeben, wie im ADAC, bei der Post oder in der katholischen Kirche. Und es gab und gibt ebenso Menschen, die sich im Umweltbereich und für Bürgerrechte engagieren. Ich engagiere mich deshalb im Bund der Vertriebenen, weil Vertreibung ein Verstoß gegen das Menschenrecht auf Heimat darstellt. Ich fordere deshalb ein kodifiziertes, sanktioniertes Verbot von Vertreibungen auf Uno-Ebene. Damit sollen die sogenannten ethnischen Säuberungen, die es auf der Welt immer noch gibt, grundsätzlich geächtet werden.

Interview: Reinhard Zweigler

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