Werner Patzelt beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit dem Thema Extremismus. Im Interview erklärt er, warum es in Sachsen besonders häufig zu fremdenfeindlich motivierter Gewalt kommt.
-Herr Patzelt, in Chemnitz ist ein Mob mit Rechtsextremen und Hooligans durch die Stadt gezogen. Wie schätzen Sie das ein?
Wenn sich hunderte Leute auf der Straße wütend versammeln, ist das immer ein Zeichen dafür, dass in einer Gesellschaft etwas nicht stimmt. Und Gewalttaten sind nie akzeptabel. Aber wir sollten zu begreifen versuchen, woher solches Verhalten kommt.
-Und? Woher?
Das ist der Kampf um öffentliche Räume, um Rangordnungen, um das letzte Wort. Das gibt es schon in Schulklassen – und in einer entstehenden multiethnischen Gesellschaft erst recht. Es ist eine große kulturelle Errungenschaft, solche Kämpfe ohne Gewalt auszutragen. Wir müssen darauf achten, dass sie nicht zunichte gemacht wird.
-Eine eher abstrakte Antwort. Warum kommt es zu fremdenfeindlichen Übergriffen besonders oft in Sachsen?
Weil es in Sachsen schon lange eine sich radikalisierende Widerständigkeit gegen Deutschlands Migrationspolitik und – leider – auch gegen Zuwanderer gibt! Die sind einer starken Minderheit wirklich nicht willkommen. Offenbar sind da inzwischen auch junge Leute entsprechend geprägt worden, und noch mehr Erwachsene sind da auf emotionale, intellektuelle und moralische Abwege geraten.
-Ist Angst angebracht im Hinblick auf Chemnitz?
Es geht weniger um Angst vor oder um Chemnitz. Das Wesentliche ist, dass manches nicht mehr als „so normal“ wie früher empfunden wird. Silvester-Partys im öffentlichen Raum finden seit den Übergriffen in Köln nicht mehr ganz entspannt statt, und nicht nur auf Weihnachtsmärkten gewöhnt man sich an Betonpoller als Schutz vor Attacken mit Fahrzeugen.
-Aber das rechtfertigt doch keine gewalttätigen Aufmärsche.
Nein. Aber wenn man den Leuten zu erklären versucht, ihre Empfindungen wären falsch, denn im Grunde wäre alles noch so wie ehedem, dann werden sie oft zornig und reagieren erregt – und zwar auch ansonsten ziemlich normale Leute.
-Welche Figur macht die schwarz-rote Landesregierung im Umgang mit Gewalt von rechtsaußen?
Man bekundet gemeinsam Abscheu über Verhaltensweisen wie nun in Chemnitz. Doch bisweilen wird unglücklich kommuniziert, etwa unlängst, als das polizeiliche Verhalten gegenüber Journalisten am Rande einer Pegida-Demo vom Ministerpräsidenten Kretschmer so kommentiert wurde, als hätten die Polizisten alles richtig und die Journalisten alles falsch gemacht.
-Und die SPD?
Die will zeigen, dass es in dieser Landesregierung die Guten und die Bösen gibt. Die Guten sind sie natürlich selbst, und die Bösen kommen von der CDU. Da positioniert man sich bereits für die Landtagswahl im kommenden Jahr.
-Bei der die AfD erstmals stärkste Kraft wird?
Das hielt ich in der Vergangenheit für ausgeschlossen. Heute bin ich nicht mehr so sicher, denn immer wieder nährt man guten Willens jene Empörung, die zum Wahlkreuz bei der AfD führt. Die Berichterstattung über Chemnitz konzentrierte sich auf das hässliche Verhalten von Rechten, kümmerte sich aber nicht ähnlich intensiv um die Ursachen des Messerangriffs, der nun zur Untersuchungshaft eines Syrers und eines Irakers geführt hat.
-Was ist zu tun?
Es ist schon richtig, „gegen rechts“ kämpfen zu wollen. Doch man gewinnt nicht durch scharfe Worte, sondern nur durch Behebung jener Probleme, die rechte Aggressivität auslösen.
Interview: Maximilian Heim