Mit einer Mischung aus Abscheu und Erschrecken blickt die Republik auf Chemnitz. Und nicht jeder bewahrt dabei den notwendigen kühlen Kopf. Es ist bestürzend genug, wenn in den Straßen einer deutschen Großstadt Menschen ermordet oder verletzt und danach Hetzjagden auf Ausländer veranstaltet werden. Da muss die Politik nicht noch die Stichworte liefern für eine weitere Hysterisierung. Es ist nicht gut, wenn der SPD-Innenexperte schon „bürgerkriegsähnliche Zustände“ an die Wand malt. Davon ist die Republik zum Glück ein gutes Stück entfernt.
Richtig ist aber, dass die Polizei in Chemnitz zuletzt nicht mehr immer Herr der Lage war und die Eruption der Wut unterschätzt hat. Seit Langem bekannt ist die unheilvolle Rolle der Hassmaschinen, die sich „soziale Medien“ nennen, beim Anzetteln von Randale. Und jeder weiß um das anti-liberale Erbe der DDR, das Menschen in Ostdeutschland empfänglicher macht für die Parolen der Rechten. Und doch ist es mit einem Überbietungswettbewerb der Abscheubekundungen als Reaktion auf Chemnitz nicht getan. Die Politik muss – und das ist das eigentliche Alarmsignal aus Sachsen – erkennen, dass es den Rechten zunehmend gelingt, die bürgerliche Mitte für ihre Zwecke einzuspannen. Mit mehr Polizei allein ist das nicht zu ändern. Der Kampf ist nur in den Köpfen zu gewinnen. Trotz aktuell goldgeränderter Unternehmensbilanzen gebe es eine weitverbreitete Angst vor der Zukunft, vor Rentnerarmut, Pflegenot, Globalisierung, Abstieg, Arbeitslosigkeit und vor zu viel Zuwanderung, warnen Rechtsextremismusforscher. Diese Angst verbindet sich mit dem Gefühl, der Rechtsstaat habe, vor allem in der Asylpolitik, die Kontrolle verloren und könne die Bürger nicht mehr wirksam beschützen. Das Vertrauen der Menschen in den Rechtsstaat wächst eben auch nicht, wenn sie sehen, dass es nicht gelingt, Kriminelle und Gefährder wie Sami A. abzuschieben – und ihn auch dort zu lassen, wo er hingehört. Da helfen auch keine abstrakten Jura-Seminare.
Wenn die Politik verhindern will, dass Menschen sich weiter radikalisieren, muss sie diese Vertrauenskrise überwinden und die Probleme lösen. Die Asylpolitik ist da nur eines von vielen, aber sie ist und bleibt die schärfste Waffe in der Hand der rechten Verführer.
Georg Anastasiadis
Sie erreichen den Autor unter
Georg.Anastasiadis@ovb.net