„Die Widerspruchslösung ist mit unserem Grundgesetz vereinbar“

von Redaktion

Fachanwalt für Medizinrecht aus München hält die Vorwürfe von Organspende-Gegnern für medizinisch und juristisch nicht belegbar

München – Geht es nach Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU), soll künftig jeder Deutsche ein Organspender sein, und zwar automatisch – es sei denn, er widerspricht ausdrücklich zu Lebzeiten oder seine Angehörigen im Todesfall. Aber: Ist das juristisch überhaupt haltbar? Ein Interview mit Wolfgang Putz, Fachanwalt für Medizinrecht aus München.

-Was halten Sie von Jens Spahns Vorstoß?

Ich halte ihn für völlig richtig! Wir haben viel zu wenige Organspenden. Die sogenannte Widerspruchslösung – im Todesfall ist jeder automatisch Organspender, es sei denn, er entscheidet sich zu Lebzeiten explizit dagegen – ist sowohl moralisch vertretbar als auch politisch sinnvoll. Und: rechtlich absolut zulässig.

-Einige Juristen finden das nicht so eindeutig …

Ich schon: Mit der Widerspruchslösung wird niemand zu etwas gezwungen, es ist ja keine Verpflichtung ohne Umkehr. Vielmehr kann ich jederzeit widersprechen – und mich bewusst gegen die Organspende entscheiden.

-Ist die Widerspruchslösung der einzige Weg, damit es künftig mehr Organspenden gibt?

Potenziell gibt es ja genügend Spenderorgane. Das Problem – aber auch dem trägt der Gesetzentwurf von Jens Spahn mit sinnvollen Anreizen Rechnung – liegt bei den Kliniken: Sie werden bei Todesfällen nicht ausreichend aktiv; sie sprechen zu selten die Angehörigen auf das Thema Organspende an. Der Grund: Es ist eine unangenehme Situation für die Klinikmitarbeiter – und ein organisatorischer Mehraufwand.

-Wenn also die Kliniken ihr Potenzial ausschöpfen würden, müssten wir diese Diskussion nicht führen?

Wir hätten vermutlich keine Not an Spenderorganen …

-… und bräuchten damit nicht mehr die Widerspruchslösung?

Wir können in diesem sensiblen Bereich aber keine Probeläufe starten, sprich: Zuerst mehr Anreize für die Kliniken schaffen, dann testen wir die Widerspruchslösung, danach vergleichen wir die Ergebnisse – und im Anschluss entscheiden wir uns für eine Strategie. Oder eben für eine Kombination beider Ansätze.

-Jetzt mal ganz offen gefragt: Für was plädieren Sie persönlich?

Für die Widerspruchslösung. Sie ist mit unserem Grundgesetz vereinbar, weil niemand zwangsverpflichtet wird: Jeder hat die Wahl.

-Was entgegnen Sie Missbrauchsängsten von Organspende-Gegnern?

Dass ihre Vorwürfe medizinisch und juristisch betrachtet nicht belegt sind: In Deutschland werden weder Menschen künstlich am Leben gehalten, damit ihnen Organe entnommen werden können. Noch wird alles dafür getan, dass sie eben deshalb möglichst früh sterben.

-In den USA gibt es die „verpflichtende Entscheidungslösung“: Beim Beantragen von behördlichen Dokumenten muss jeder verpflichtend angeben, ob er Organspender sein will oder nicht …

Das ist vertretbar und auch verfassungskonform. Aber ich halte es für keine gute Lösung, die Menschen beim Einwohnermeldeamt zu überrumpeln, damit sie unter Zeitdruck eine wichtige Entscheidung treffen.

-Jetzt wird das Thema ohnehin erst mal diskutiert. Was bringt diese öffentliche Debatte?

Ich denke, es wird ein langer Weg. Das kennen wir aus der Vergangenheit bei ähnlich sensiblen Themen, etwa als es um Abtreibung und Suizidhilfe ging. Ich fürchte, dass es vor der Bundestagsentscheidung – bei der höchstwahrscheinlich der Fraktionszwang aufgehoben wird – zu einer emotionalen Zuspitzung kommt. Das hat noch nie dem Ergebnis gutgetan.

Interview: Barbara Nazarewska

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