Parlamentswahlen

Schweden vor der Zeitenwende

von Redaktion

von André Anwar

Stockholm – Kürzlich saß der Mann, der ein bisschen so aussieht wie Karl-Theodor zu Guttenberg, in einer Kinder-Sendung und ließ sich von der 7-jährigen Lucy löchern. Ob er schon mal einen Rassisten getroffen habe, fragte das dunkelhäutige Mädchen, und Jimmie Akesson gab den lieben Onkel: „Gestern traf ich einen Rassisten“, antwortete er. „Ich sagte ihm, dass er aufhören soll, Rassist zu sein.“

Ganz so einfach ist es leider nicht, wobei in dem Satz doch ein Stückchen Wahrheit liegt. Akesson, 39 Jahre alt und seit 2005 Chef der rechtspopulistischen Schwedendemokraten (SD), versucht seit Jahren, seine von Neonazis mitbegründete Partei salonfähig zu machen. Er warf allzu rechtsradikale Mitglieder raus und gibt sich konsequent gemäßigt.

Die vordergründige Mäßigung zieht: Wenn die Schweden am Sonntag ein neues Parlament wählen, wird die SD wohl zu den großen Gewinnern zählen. Nach knapp sechs Prozent 2010 und knapp 13 Prozent vier Jahre später sehen die Umfragen die Partei diesmal bei rund 20 Prozent. Damit wäre die SD erstmals größer als die größte bürgerliche Oppositionspartei Moderaterna von Ulf Kristersson. Auch der Abstand zu den Sozialdemokraten von Ministerpräsident Stefan Löfven ist klein. Einige Umfragen sehen die SD sogar vorn.

Schweden, das einst als tolerantes, sozial ausgewogenes Bullerbü galt, schien lange Zeit immun gegen Rechtspopulisten. Doch nun steht es „vor einer umwälzenden Veränderung seiner politischen Landschaft“, sagte Mats Knutson, Chefkommentator beim öffentlich-rechtlichen Fernsehen SVT, unlängst.

Der Stockholmer Politikprofessor Nicholas Aylott sieht mehrere Gründe für den Erfolg der SD: Die unter Parteichef Akesson gepflegte Mäßigung zählt genauso dazu wie die „generöse Einwanderungspolitik“ der letzten zwölf bis 15 Jahre. „Die ist ziemlich radikal gewesen im Vergleich zu allen anderen Ländern in Europa und hat viele Bürger beunruhigt“, sagt Aylott. Im Establishment sei es zudem lange ein Tabu gewesen, über die Probleme der Migration zu sprechen. „Das hat lange nur die SD getan.“

Doch die Probleme werden offensichtlicher. Am Rande vieler Großstädte sind segregierte Migrantenwohnviertel mit teils hoher Arbeitslosigkeit und Kriminalitätsrate entstanden. Krawalle und Bandenschießereien sind hier keine Seltenheit. Berüchtigt ist etwa Rosengård, der Problemstadtteil Malmös. Allein in Malmö wurden seit Jahresbeginn zehn Menschen umgebracht.

Gleichzeitig haben sozialdemokratische und bürgerliche Regierungen seit den 1990er-Jahren den einst engmaschigen Wohlfahrtsstaat immer weiter beschnitten: „Eine zuvor den Menschen unbekannte soziale Unsicherheit ist in Schweden eingezogen, gerade auch in den unteren und mittleren sozialen Schichten“, sagt Daniel Suhonen, Chef der gewerkschaftlichen Denkfabrik „Katalys“. „Das härtere soziale Klima konnte die SD dann erfolgreich mit der Einwanderung verbinden, obwohl es nichts damit zu tun hat“, so Suhonen.

Dann kam das Jahr 2015, in dem über 160 000 Menschen nach Schweden flohen. Relativ zu seinen zehn Millionen Einwohnern hat das Land mehr Flüchtlinge pro Kopf aufgenommen als jeder andere europäische Staat. Die Kommunen waren überfordert. Ende 2015 kündigte die rot-grüne Regierung dann die Schließung der Grenzen und deutliche Verschärfungen der Asylrichtlinien an. „Das kam viel zu spät“, sagt der Politologe Aylott. „Die SD konnte sich bis dahin als einzige einwanderungskritische Partei im Parlament etablieren.“

Die große Frage ist nun, wie die etablierten Parteien mit dem absehbaren Erfolg der SD umgehen werden. Eine Regierungsbeteiligung schließen die beiden traditionellen Parteienblöcke von links (Rot-Grün) und rechts (Allianz) zwar aus. Auf eine absolute Mehrheit dürfen jedoch beide nicht hoffen. „Wenn ich raten soll, wird nur eine Partei in der nächsten Regierung sein, die mit indirekten Stützparteien eine knappe Mehrheit bildet“, sagt Aylott. Die Sozialdemokraten müssten dann auf indirekte Unterstützung aus dem bürgerlichen Lager hoffen, die Moderaten womöglich auf die Unterstützung der SD.

Ministerpräsident Löfven brachte zuletzt eine lagerübergreifende Koalitionsregierung ins Spiel, mit Beteiligung kleinerer Parteien aus dem Mitte-Rechts-Lager. Auch das wäre ein Novum. Aber eines ohne die SD.

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