Manfred Weber

Ein Bayer greift in Brüssel nach der Macht

von Redaktion

von Mike Schier

München – Er hat sich ganz schön Zeit gelassen. Seit zwei Wochen wurde darüber spekuliert, dass Manfred Weber der Chef der nächsten EU-Kommission wird. Er selbst verfolgt diese Überlegung seit Monaten. Doch erst am Mittwochmorgen tritt Weber nach einer Sitzung seiner konservativen EVP-Fraktion vor die Mikrofone. „Europa steht an einem Wendepunkt“, sagt er auf Englisch. „Wir werden von außen herausgefordert. Die EU wird aber auch aus ihrem Inneren von Radikalen attackiert.“ Europa brauche einen neuen Plan. Einen „Kickstart“. Und er sei bereit, erst als europaweiter Spitzenkandidat und dann als Chef der neuen EU-Kommission seinen Teil dazu beizutragen.

Es ist ein typischer Weber-Auftritt. Der 46-Jährige ist kein Mann für rhetorische Feuerwerke. Genau genommen sagt er nichts, was nicht vorher schon alle wussten. Statt die große Schlagzeile zu produzieren, steckte Weber vorab lieber intern das Feld ab. Er hat mit der Kanzlerin gesprochen (keine CSU-Freundin), mit den CSU-Kollegen (keine Europa-Freunde) und mit etlichen Staatschefs (keine Deutschland-Freunde).

Jetzt fühlt er sich sicher genug, den Hut in den Ring zu werfen. Es wäre eine ungewöhnliche Karriere: Früher mauschelten die Staatschefs den Kommissionspräsidenten aus. Jean-Claude Juncker war der erste von den EU-Bürgern gewählte Spitzenkandidat, der dann die Kommission führte. Weber wäre der erste Parlamentarier, der die Exekutive in Brüssel übernimmt.

Einfach wird es nicht. Das Geschacher um die Macht hat erst begonnen. Zunächst muss sich Weber intern durchsetzen – bislang ist er der erste Kandidat innerhalb der EVP. Gehandelt werden auch der ehemalige finnische Regierungschef Alexander Stubb und der Brexit-Verhandlungsführer Michel Barnier aus Frankreich. Die Entscheidung fällt am 7./8. November. Dann gilt es Ende Mai für die EVP, die Wahl zu gewinnen.

Danach stellt sich die Frage, ob tatsächlich der Spitzenkandidat Kommissionschef wird. Ganz sicher scheint das nicht, schließlich müssen 2019 gleich fünf wichtige EU-Posten besetzt werden: Neben der Kommission warten auch EZB, Parlament, der Rat und die Außenbehörde auf neue Chefs. Das muss fair zwischen den Ländern verteilt sein.

Doch man sollte diesen Manfred Weber, der anders als die anderen Alphatiere seiner Partei so leise daher kommt, nicht unterschätzen. Er verfügt über die unter Politikern seltene Gabe, im richtigen Moment den Mund zu halten und die Entwicklung der Dinge abzuwarten – was nicht heißt, dass er nicht zielstrebig vorgeht. Seine Europa-Karriere plant er seit Jahren akribisch: Schon mit 32 entschied sich der aufstrebende Landtagsabgeordnete, der als JU-Chef kurz vor der Berufung zum Staatssekretär stand, für einen Wechsel nach Brüssel. Dorthin entsorgte die CSU damals schwierige Altfälle. Die Kollegen erklärten Weber für verrückt.

Auch später wurde der Mann aus dem Landkreis Kelheim immer wieder für Ministerposten in München oder Berlin gehandelt. Aber der Niederbayer ist überzeugter Europäer, lehnte ab.

In seiner Partei hatte er es als EU-Politiker nicht immer leicht. 2013 machte Horst Seehofer den Brüssel-kritischen Peter Gauweiler zum Vize. Der durfte sich während des Europawahlkampfs im Ukraine-Konflikt auf die russische Seite schlagen, Weber ging zähneknirschend auf Tauchstation. Er schwieg und wartete. Nach einem bescheidenen Wahlergebnis rückte er plötzlich in die erste Reihe.

Ein weiteres Mal bewies Weber einen eigenen Kopf: Den mächtigen CSU-Bezirksvorsitz Niederbayern gab er freiwillig ab, wieder reagierten Parteifreunde ratlos. Doch Weber wusste, dass den Regierungsbezirk in Brüssel kaum einer kennt, der stellvertretende Vorsitz einer deutschen Regierungspartei aber Türen öffnet. Also wurde er 2015 CSU-Vize und bekam mit 90,8 das beste Ergebnis, noch vor Barbara Stamm.

Inzwischen nehmen ihn alle in der Partei ernst. Auch die Konkurrenten. Mit Markus Söder hatte Weber schon zu JU-Zeiten ein schwieriges Verhältnis, seit ein paar Monaten herrscht Waffenstillstand. Noch im Herbst gehörte Weber einer kleinen Spitzenrunde an, die Söders Aufstieg zum Ministerpräsidenten verhindern wollte. Weber äußerte dabei Ambitionen, den Parteivorsitz zu übernehmen, falls Seehofer das Amt abgeben wolle. Seehofer wollte nicht. Aber Weber hat seitdem einen neuen Gegenspieler: Landesgruppenchef Alexander Dobrindt, der ebenfalls gerne die Partei führen würde.

Nun sichert Dobrindt Weber „volle Unterstützung“ bei den Karriereplänen in Brüssel zu. Zwischen Kommissionsgebäude und CSU-Zentrale liegen 598 Kilometer.

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