Verfassungsschutz fordert Regierung heraus

High Noon in Berlin

von Redaktion

Gab es Hetzjagden auf Ausländer in Sachsen – oder nicht? Mit seinen via „Bild“-Zeitung geäußerten Zweifeln an der regierungsamtlichen Darstellung der Vorgänge in Chemnitz hat Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen eine Lawine losgetreten. Die Frage ist nur, wen sie am Ende unter sich begräbt.

Es ist ein in der jüngeren Geschichte der Republik ziemlich einmaliger Vorgang, dass zwei Staatsorgane, Bundesregierung und Verfassungsschutz, einander öffentlich und mit Verve widersprechen. Noch explosiver ist die Sache, weil beide noch dazu am derzeit größten Pulverfass des Landes herumzündeln, der Migrationspolitik und den dadurch ausgelösten Ausschreitungen. Entweder hat Bundesregierungssprecher Steffen Seibert das Chemnitzer Protestgeschehen überspitzt und damit unzutreffend dargestellt, unabsichtlich oder – was schwer zu glauben ist – absichtsvoll, um von der vorausgegangenen Bluttat abzulenken. Oder der Chef des Inlandsgeheimdienstes versucht, die Vorgänge bewusst zu verniedlichen, was einer direkten Hilfeleistung für die AfD gleichkäme. Wirklich vertrauensbildend ist weder das eine noch das andere. Und alle wissen: Seiberts Chefin ist Angela Merkel. Und Maaßens Dienstvorgesetzter ist Horst Seehofer. Mit anderen Worten: In Berlin ist mal wieder High Noon.

Linke, SPD und AfD sollten ihre Empörung gleichwohl zügeln: Statt jetzt, je nach parteipolitischem Gusto, umstandslos die Entlassung des Verfassungsschutzpräsidenten oder des Regierungssprechers zu fordern, sollten sie weitere Erkenntnisse abwarten. Es ist zu einer schlimmen Unsitte geworden, schon mit Bewertungen aufzuwarten, noch bevor die Fakten geklärt sind. Wenigstens das sollten alle aus Chemnitz gelernt haben. Nicht vergessen werden sollte ferner, dass es dort, egal wie man das Kind nun nennen mag, zu einer Vielzahl völlig inakzeptabler Übergriffe auf Ausländer gekommen ist. Maaßen muss jetzt dringend erklären, warum er das einzige Video, das (scheinbar) auch die angebliche Hetzjagd belegt, für eine Fälschung hält. Und warum er diesen Argwohn bis gestern für sich behielt, statt umgehend das Kanzleramt darüber zu informieren.

Georg Anastasiadis

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