Früher ging es bescheiden zu. In Schusterwerkstätten sah man häufig das Schild: „Sind Sie zufrieden, sagen Sie es anderen, sind Sie nicht zufrieden, sagen Sie es mir“. Das Schusterhandwerk wollte sich damit an guter handwerklicher Arbeit messen lassen und erklärte sich offen für Kritik.
Zeitungen waren die Ersten, die sich zu modernen Leitbildern bekannten. Schon auf ihren Titelseiten versprachen sie, stets wahrhaftig und unabhängig zu berichten. Für das Hamburger Abendblatt wählte der Gründer Axel Springer als Leitbild einen Spruch des alten Seebären Gorch Fock, passend zu dem Blatt aus der weltoffenen Hansestadt: „Mit der Heimat im Herzen die Welt umfassen“.
Im Vergleich zu solchen hehren Zielen klingt es dann eher rührend, wenn zum Beispiel ein Hotel am Starnberger See als Leitbild verkündet: „Unser Ziel ist es, zu den besten Adressen im bayerischen Raum zu zählen“.
Oder wenn ein Reiseveranstalter – wenig überraschend – sein Leitbild so formuliert: „Wir möchten, dass unsere Kunden zufrieden und begeistert von ihren Urlaubsreisen zurück nach Hause kommen“. Knapp formulierte Leitbilder haben heute fast alle Großunternehmen. Die Lufthansa verspricht unter dem Motto „Nonstop you“ stets ununterbrochen pünktlichen Transport. Fluggäste mit langen Wartezeiten und Flugausfällen in diesem Sommer werden das eher als Hohn empfunden haben.
Unübertroffen bleibt das Leitbild der großen Versicherung: „Hoffentlich Allianz versichert“. Die Deutsche Bank bekennt sich zu „Leistung aus Leidenschaft“. Wenn man da an den einen oder anderen Skandal der vergangenen Jahre denkt, den dieses Bankhaus mit zu verantworten hatte, muss man feststellen, dass diese Leidenschaft der Bank manchmal in die ganz falsche Richtung ging.
Sehr geschickt ziehen sich unsere großen Autobauer aus der Affäre. Von Daimler ist gar kein Leitbild bekannt, BMW beschränkt sich auf „Freude am Fahren“ und Volkswagen noch knapper auf „Das Auto“. Nach dem Dieselbetrug klingt das eher ernüchternd.
Leitbilder, die man sich als Arbeitnehmer oder als deutscher Steuerzahler wünschen möchte, finden sich leider kaum bei den großen Unternehmen. Ein schönes Leitbild wäre doch: „Wir wollen unsere Mitarbeiter stets überdurchschnittlich entlohnen und ihnen in jeder Not beistehen“. Den weltweit wertvollsten Firmen, den IT-Giganten Apple, Google, Amazon und Co. empfehle ich als Leitbild den Satz: „Wir stehen dafür, unsere überragende Marktstellung auch für kleinere Marktteilnehmer zu öffnen und wir nehmen uns vor, stets einen fairen Betrag an Steuern aus unseren weltweiten Gewinnen zu zahlen“. Auf solche Einsichten werden wir wohl noch warten müssen.
Insgesamt sind aber Leitbilder mit hohem Anspruch etwas Gutes, solange das redliche Bemühen dahintersteht, wie schon der Schuster lieber gute als schlechte Arbeit abzuliefern. Das optimale Gute ist in der Welt, wie sie nun einmal ist, nie zu erreichen. Da ist ein lauteres Bekenntnis zu guten Zielen doch auch schon etwas wert.
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