Im Fokus

Salvinis zerschlagenes Porzellan

von Redaktion

Rom – Wer ermessen will, wie weit das alltägliche mediale Kampfgeschrei von Innenminister Matteo Salvini und die politischen Realitäten auseinanderklaffen, der muss in diesen Tagen mal nach Tripolis schauen. Dort kämpft die vom Westen gestützte und von der UNO anerkannte Übergangsregierung um ihr nacktes Überleben. Die libysche Hauptstadt wird seit Wochen von rebellischen Milizen belagert, um ein Haar hätten sie Tripolis vor ein paar Tagen sogar eingenommen. Regierung und Parlament sind von der Außenwelt abgeschnitten. Mit der Eroberung der Hafenstadt Misurata rückt Rebellen-General Khalifa Haftar immer weiter nach Westen vor. Der von Italien militärisch unterstützten Küstenwache des Landes entgleitet indessen die Kontrolle über immer weitere Küstenabschnitte.

Ergebnis: Die Schlepper wittern wieder Morgenluft, es lauert eine neue Migrationswelle übers zentrale Mittelmeer. Schon bei seinem ersten Besuch in Libyen vor Beginn der Sommerpause durfte Poltergeist Salvini lernen, dass man schon ein diplomatischer Zauberkünstler sein muss, um in dem Dickicht aus Warlords, Stammesmilizen und Schlepperbossen irgendetwas zu erreichen. Sein umtriebiger Vorgänger Marco Minniti, ein früherer Geheimdienstchef, hatte auf diesem Gebiet einigermaßen erfolgreich agiert; die Ankünfte von Flüchtlingen in Italien sind auf den niedrigsten Wert seit vielen Jahren geschrumpft. Dass man in Rom nun hauptsächlich mit sich selbst beschäftigt ist, haben auch die Stammesfürsten in der Wüste erkannt – viele fühlen sich an die mit viel EU-Geld erkauften Abmachungen mit der Vorgängerregierung Gentiloni nicht mehr gebunden und halten jetzt erneut die Hand auf.

Einen weiteren Fehler begingen die Populisten in Rom damit, jegliche militärische Aktion zum Schutz der Übergangsregierung in Tripolis vorzeitig auszuschließen. Die teils von Moskau unterstützten Kriegsherren dürfen sich ermutigt fühlen. Während die innenpolitischen Vorhaben von Lega und Movimento 5 Stelle wegen interner Streitereien kaum vom Fleck kommen, haben die Neuen in den römischen Chefsesseln außenpolitisch schon eine Menge Porzellan zerschlagen. Das einst enge Verhältnis mit Paris ist auf dem Gefrierpunkt angelangt, das Verhältnis von Premier Giuseppe Conte mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron gilt als gallig. Der macht aus seiner Abneigung gegen die fremdenfeindlichen Populisten keinen Hehl. Das unter den Regierungschefs Renzi und Gentiloni durchaus erfolgreiche Triumvirat Paris, Berlin, Rom, das innerhalb der EU wichtige Themen voranbrachte, gibt es nicht mehr. Stattdessen zelebriert Lega-Chef Salvini – von den Medien als heimlicher Premier tituliert – den engen Schulterschluss mit Ungarns umstrittenem Ministerpräsidenten Orban und verehrt Russlands Machthaber Putin.

Ingo-Michael Feth

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