Chemnitz-Debatte

Wirbel um Maaßen

von Redaktion

von Anne-Beatrice Clasmann und Jörg Blank

Berlin – Die sächsischen Behörden sind mit ihrer Einschätzung der Übergriffe bei den Protesten in Chemnitz vorsichtig. Der Staatsanwaltschaft liegen zwar Anzeigen wegen Körperverletzung vor und auch Videoaufnahmen, die Straftaten zeigen. Für eine abschließende Bewertung der Vorfälle ist es aber ihrer Ansicht nach noch zu früh. Umso mehr erstaunen die forsche Herangehensweise von Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen.

Was ist in Chemnitz wirklich passiert? Kann man einem im Internet verbreiteten Video trauen? Der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) sagt in einem Interview, es sei möglich, dass „gezielte Falschinformationen“ verbreitet worden seien, „um möglicherweise die Öffentlichkeit von dem Mord in Chemnitz abzulenken“. Doch wer sollte das tun und warum?

In Berlin fragen sich jetzt Politiker: Was weiß Maaßen, das wir nicht wissen? Oder – wenn er nichts weiß – warum beteiligt er sich an politisch heiklen Spekulationen?

Dass Maaßen Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Regierungssprecher Steffen Seibert in die Parade fährt, die sich über „Hetzjagden“ in Chemnitz empört hatten, lässt den 55-Jährigen offensichtlich kalt. Sein Dienstherr, Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU), hat damit auf jeden Fall kein Problem. Maaßen genieße sein volles Vertrauen.

Der Verfassungsschutzchef ist Experte für Ausländerrecht. Im vergangenen Juni betonte er, wie problematisch es sei, dass die meisten Asylsuchenden keine gültigen Ausweispapiere vorlegten und nur auf der Grundlage eigener Angaben identifiziert werden könnten. Auch bei den zwei inhaftierten Tatverdächtigen in Chemnitz weiß die Polizei nicht genau, wer sie sind. Einer von ihnen legte gefälschte irakische Papiere vor. Der andere kam ohne Ausweis und wurde als syrischer Flüchtling anerkannt.

FDP-Innenpolitiker Benjamin Strasser glaubt, Maaßen wolle mit seinen Einlassungen zu den Vorfällen in Chemnitz von Kritik an seiner Behörde im Zusammenhang mit dem Terroranschlag in Berlin vom Dezember 2016 ablenken. Und von der Debatte um seine Kontakte zu Politikern der AfD. Aus den Reihen von SPD und Linkspartei wird Maaßens Rücktritt verlangt.

Die Spitze der Unionsfraktion wählt erst mal die Vorwärtsverteidigung und verweist auf eine Sondersitzung des Innenausschusses, bei der Maaßen wohl kommende Woche befragt werden soll. Maaßen werde schon wissen, was es bedeuten könne, wenn er sich in die politische Debatte einmische, seine Behauptungen aber nicht belegen könne, heißt es in der Unionsfraktion.

Mitten im Wirbel um Maaßen gingen am Freitag wieder rund 2350 Anhänger der rechtspopulistischen Bewegung „Pro Chemnitz“ auf die Straße – aber auch 1000 Gegendemonstranten. Laut Polizei blieb es friedlich.

Zudem wurde bekannt, dass es am Rande der Proteste am 27. August zu einem antisemitischen Vorfall gekommen war. Ein Dutzend Vermummte hätten ein koscheres Restaurant angegriffen, berichtet die „Welt am Sonntag“. Dabei hätten die Verdächtigen „Hau ab aus Deutschland, du Judensau“, gerufen und den Wirt verletzt.

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