In Deutschland besteht ein Mangel an (qualifizierter) Pflege, mancherorts herrscht gar Pflegenotstand. Dieser von allen Beteiligten (Patienten, Pflegebedürftige, Kliniken, Alten- und Pflegeheime, Kostenträger) nicht geleugnete Fakt besteht schon länger, allerdings scheint sich keine Änderung abzuzeichnen.
Um hier Bewegung in das erstarrte System zu bringen, hat Gesundheitsminister Spahn eine Initiative gestartet, die an verschiedenen Stellen ansetzen soll. Doch hat er die geeigneten Therapien? Es sollen nicht wie im Koalitionsvertrag festgeschrieben 8000, sondern 13 000 neue Pflegestellen geschaffen werden. Doch wo und wie? Qualifiziertes Krankenpflegepersonal fehlt heute schon, insbesondere in den Ballungsgebieten. Einer großen Klinik wird es nicht helfen, statt 100 jetzt 200 freie Stellen in der Krankenpflege zu haben, wenn es weiterhin an Bewerber/-innen mangelt.
Ein wesentlicher Faktor ist die Bezahlung – doch hier kann die Politik nicht in die Tarifautonomie eingreifen, zumal Alten- und Krankenpflege jeweils ganz unterschiedliche Arbeitgeber haben: unter anderem kommunale Häuser, kirchliche und private Träger, jeweils mit unterschiedlichen Tarifstrukturen. Die Überlegung, Gehaltssteigerungen über die Kranken- und Pflegeversicherung zu bezahlen, ist eine mögliche Option. Allerdings werden hier die Versicherten früher oder später mit zur Kasse gebeten.
Hier ist eine Diskussion und Meinungsbildung in unserer Gesellschaft dringend nötig, um zu klären, was uns allen die Versorgung in einer zunehmend älter werdenden Gesellschaft mit hoher Dichte an klinischer Medizin wert ist. Auch die Gehaltsstruktur ist in der Pflege unterschiedlich: ein/e Fachkraft als Krankenpfleger/-in verdient im Mittel monatlich 3200 Euro, in der Altenpflege sind es dagegen 2600 Euro. Der Wunsch des Gesundheitsministers, 2500 bis 3000 Euro € monatlich müssten für die Pflege möglich sein, dürfte hier nur die Altenpflege freuen. Gerade dieser Bereich ist finanziell besonders unattraktiv, aber zunehmend wichtiger und bedarf besonderer Anreize.
Hohe Miet- und Lebenshaltungskosten verstärken die Engpässe in Ballungsgebieten – zumindest in den großen kommunalen Krankenhäusern werden oft aber keine Standortzuschläge gezahlt, um hier einen Ausgleich zu andernorts günstigeren Lebenshaltungskosten zu schaffen. Hier könnte die öffentliche Hand Abhilfe schaffen. Während private Träger seltener die personal- und kostenintensive Hochleistungsmedizin betreiben, dafür aber eher Lohnaufschläge zahlen, fehlt Pflegepersonal gerade in den leistungsdichten Abteilungen kommunaler Einrichtungen. Die vielbeschworenen Regulierungskräfte des Marktes können hier nicht funktionieren. Und während Industrie sich dort ansiedeln kann, wo viele und kostengünstige Arbeitskräfte leben, muss Pflege dort geleistet werden, wo die Patienten und Pflegebedürftigen leben – also gerade auch in Ballungsgebieten. Hier könnten (tarif-) politische Instrumente des Ausgleichs als Anreizinstrumente geschaffen werden.
Der Mangel an Fachkräften ist aber nicht nur eine Frage der Vergütung. Viele Berufsanfänger beispielsweise in den Medien-Branchen würden für den Durchschnittsverdienst in der Krankenpflege weit laufen – warum also Mangel an Berufsanfängern in den Pflegeberufen? Das Image der beiden Berufsfelder ist sehr unterschiedlich. Solange im Gespräch die Angabe „ich mach was mit Medien“ sehr viel mehr Interesse und Bewunderung auslöst als ein Pflegeberuf („ach, Sie Arme, das könnte ich ja gar nicht“), dürfen wir uns alle nicht wundern.
Mit einer Rechtsverordnung sollen ab 1. Januar 2019 zunächst zeitlich begrenzt Pflegepersonaluntergrenzen für besonders kritische und pflegeintensive Bereiche (z.B. Intensivmedizin, Unfallchirurgie, Kardiologie) eingeführt werden. Angesichts des Fehlens von qualifiziertem Fachpersonal wird dies jedoch nur dazu führen, dass mit dem vorhandenen Personal weniger Betten betrieben werden können. Aus den oben genannten Gründen wird es aus dem Stand nicht mehr qualifizierte Pflegekräfte geben. Gerade für den besonders vom Personalmangel betroffenen Bereich der Intensivmedizin kann das zu einer weiteren Verknappung der belegbaren Betten führen – der Versorgungsengpass nähme erst einmal zu.
Pflege tut not, ist aber auch in Not! Es ist allerhöchste Zeit, die schon offenbaren Missstände anzugehen – die Initiative des Gesundheitsministers wird die Probleme nicht lösen, ist aber dringend erforderlich, um alle zur Lösung erforderlichen gesellschaftlichen und politischen Kräfte sehr rasch und umfassend zu mobilisieren.
Der Patient „Pflege“ braucht eine differenzierte Therapie