Berlin – Es sind zwei Sätze, um 12.08 Uhr per E-Mail verschickt. Sätze mit Sprengkraft. Die SPD-Spitze fordert von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) kategorisch, dass sie Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen absetzt oder er zurücktritt. Generalsekretär Lars Klingbeil verkündet: „Für die SPD-Parteiführung ist völlig klar, dass Maaßen gehen muss. Merkel muss jetzt handeln.“
Am Morgen hieß es zunächst, die SPD mache Maaßen nicht zum Kriegsgrund. Ohnehin dürften im Land nur wenige Menschen verstehen, was los ist in Berlin. Alles platzen lassen wegen eines umstrittenen „Bild“-Interviews im Zusammenhang mit den fremdenfeindlichen Ausschreitungen von Chemnitz? Und wegen den – inzwischen relativierten – Zweifeln Maaßens an der Authentizität eines Videos, das Übergriffe auf Ausländer zeigt?
Am Nachmittag kommt Merkel wegen der Eskalation mit SPD-Chefin Andrea Nahles und Maaßens oberstem Dienstherren, Innenminister Horst Seehofer (CSU), kurzfristig zu einem Krisentreffen zusammen. Etwa 90 Minuten später verlassen Seehofer und Nahles das Kanzleramt wieder. Was anschließend aus Regierungskreisen zu erfahren ist, kann als eine Art Frist für Maaßen gedeutet werden, selbst einen honorigen Ausweg aus der vertrackten Lage zu finden. Es sei ein gutes, ernsthaftes Gespräch gewesen, „mit dem Ziel, als Koalition weiterzuarbeiten“.
Zuvor hatte der Streit über die Zukunft des Verfassungsschutzpräsidenten innerhalb weniger Stunden eine derartige Zuspitzung erfahren, dass wie vor der Sommerpause wieder über ein bevorstehendes Aus der GroKo gemutmaßt wurde. Mit ihrem offensichtlich abgestimmten Signal für den Willen zur Zusammenarbeit setzten die Parteichefs auch so etwas wie ein Stoppsignal vor eine weitere Eskalation des neuen Streits.
Dass gleich noch der Zeitpunkt für die Fortsetzung des Gesprächs über Maaßen in gleicher Runde – kommender Dienstag um 16 Uhr – genannt wird, ist ungewöhnlich. Auch der CSU-Parteitag an diesem Samstag in München wird als möglicher Grund dafür genannt, dass eine Entscheidung vertagt wurde.
Hinter vorgehaltener Hand wird über mögliche Modalitäten für einen selbstgewählten Rückzug Maaßens nachgedacht. Als politischer Beamter könnte der 55-Jährige beispielsweise um die Versetzung in den einstweiligen Ruhestand bitten – auch, um nicht auf seine Versorgungsansprüche verzichten zu müssen.
In der Koalition heißt es auch, dass die Regierung über den Streit um einen Spitzenbeamten zerbreche – das sei es nicht wirklich wert. Man dürfe nicht leichtfertig zulassen, dass aus der Belastung der Koalition durch Maaßen eine Regierungs- oder Staatskrise werde. Doch ob der selbstbewusste Beamte einen solchen Schritt gehen würde?
Maaßen traf sich nach Informationen der dpa im Laufe des Tages mit Bundestagsabgeordneten der Union. Dort soll er nicht den Eindruck vermittelt haben, als ob er vor dem Aus seiner Karriere steht oder amtsmüde ist.
Zudem wird darauf hingewiesen, dass Maaßen sich am Mittwoch im Innenausschuss des Bundestags zwar durchaus reumütig und teils einsichtig gezeigt, aber für die Vorwürfe gegen ihn inhaltlich nicht wirklich eine große Grundlage gesehen habe. Auch auf die mehrfache Rückendeckung Seehofers für Maaßen wird hingewiesen. Für den CSU-Chef dürfte es im Landtagswahlkampf zudem mehr als ungelegen kommen, würde er als Umfaller dastehen, wenn er Maaßen doch noch zum Rückzug drängen würde.
Auch Merkel und Nahles sind in einer verzwickten Lage. Keiner der Parteichefs kann derzeit ein Interesse daran haben, dass die Regierung platzt und es eine vorgezogene Neuwahl gibt – angesichts der Erfolge der AfD. Merkel stünde ein Jahr nach der Bundestagswahl wohl vor dem Ende ihrer politischen Karriere. Und bei der SPD ist wegen der miesen Umfragewerte ohnehin mächtig Druck im Kessel. Im Zusammenhang mit dem Streit über Maaßen entlädt sich bei den Sozialdemokraten nun offenbar die Sehnsucht nach klarer Kante.