München – Am 14. Oktober werden viele Menschen in Bayern in einer Wahlkabine stehen. Dabei wird nur den wenigsten auffallen, dass eine Partei auf dem Abstimmungszettel fehlt – obwohl sie zwei Abgeordnete im Bundestag, neun in mehreren Landtagen und immerhin einen im Europaparlament im Portfolio hat.
Gemeint ist jenes Projekt, das von der einstigen AfD-Chefin Frauke Petry und ihrem Ehemann Marcus Pretzell vor gut einem Jahr ins Leben gerufen wurde. Die blaue Partei. Gegründet nach der Bundestagswahl und einer legendären Pressekonferenz. Statt mit ihren Kollegen den Einzug ins Parlament zu glorifizieren, erklärte Petry damals, der AfD-Fraktion nicht angehören zu wollen. „Ich werde jetzt diesen Raum verlassen“, sagte sie – und verließ den Raum.
Es war das laute Ende eines heftigen Streits. Petry und Pretzell, selbst schrillen Tönen lange nicht abgeneigt, hatten genug vom ihrer Meinung nach zu heftigen Rechtskurs der Partei. Nach einer verlorenen Grundsatz-Abstimmung zogen sie die Notbremse – einige andere Mandatsträger folgten. Deshalb haben die Blauen aktuell, indirekt jedenfalls, ein Dutzend Abgeordnete in Brüssel, Berlin, Düsseldorf, Dresden und Magdeburg.
Im Bundestag sitzen Petry und Mitstreiter Mario Mieruch seither hinter der AfD-Fraktion, wie ein kleiner Meteorit, der sein Ziel knapp verfehlt hat. Das Bild täuscht allerdings, bisher wirken die Blauen nicht bedrohlich, weder für die AfD noch für andere. Bei den baldigen Landtagswahlen in Bayern und Hessen tritt man gar nicht erst an. Zu früh, lautet die Begründung.
Für Petry ist das offiziell kein Anlass zur Sorge. Sie erklärt das langsame Wachstum (in Sachsen waren es zuletzt nur 87 Mitglieder) kurzum zum Qualitätsmerkmal. „Jede Partei, die zu schnell wächst, zieht Irre in Größenordnungen an, die sie nicht kontrollieren kann. Übrigens ist das letztlich auch der Grund, warum sich die CSU nicht bundesweit ausdehnt“, sagt sie gegenüber unserer Zeitung.
Dennoch wachsen die Zweifel, dass der kühne Plan aus dem Hause Petry/Pretzell aufgeht. Er lautet: Die blaue Partei als neue (rechts)konservative Kraft zu etablieren. Eine Art bundesweite CSU – konservativ in der Gesellschaftspolitik, liberal in Wirtschaftsfragen. Ein Blick ins noch recht dünne Programm bekräftigt das. Was da so steht? Höhere Geburtenrate durch Stärkung der Ehe, Rückkehr zur Wehrpflicht, umfassende Grenzkontrollen, keine Bargeld-Abschaffung. Dazu ein harter Kurs beim Thema Asyl und Migration – Einwanderung nur für qualifizierte Fachkräfte und bei Bedarf, Asyl in Einzelfällen als „Gnadenrecht des Staates“.
Die direkt angesprochene Konkurrenz aus Bayern reagiert lapidar auf die blaue Vielleicht-Konkurrenz. CSU-Generalsekretär Markus Blume lässt wissen: „Die bayerische CSU ist einzigartig und kann nicht kopiert werden.“
Ob die Blauen alle Skeptiker Lügen strafen, dürfte sich spätestens am 1. September 2019 zeigen. Dann will Petry bei der Landtagswahl in ihrer Heimat Sachsen auftrumpfen – auch wenn ihre Beliebtheit dort eingebrochen ist (zuletzt waren noch 14 Prozent mit ihr zufrieden). Wichtiger Aspekt von Petrys Abschneiden: Ob die Blauen ein, zwei, oder doch fünf Prozentpunkte erzielen, könnte darüber entscheiden, ob die AfD in Sachsen erstmals stärkste Kraft wird – oder nicht.
Um ihr Projekt bekannter zu machen, touren Petry, Pretzell und einige andere einstweilen durch die Gegend. Das Format heißt „Blaue Wende“ und soll die Hürde zum Mitdiskutieren senken. „Wir wollen mit diesem Bürgerforum Leute ansprechen, die nicht zur Veranstaltung einer Partei gehen und sich auch nicht in Parteistrukturen fesseln lassen wollen“, sagt Petry. Neulich in der sächsischen Kleinstadt Klandis kamen acht Interessierte und ein FAZ-Reporter. Der notierte hinterher: „Wann immer sich einer der Besucher an diesem Abend zu weit nach rechts wagt, widerspricht Petry.“
Den Blauen scheint es, anders als der AfD, ernst zu sein mit der Abgrenzung zum Rassistisch-Völkischen. Es sei „Blödsinn, ausnahmslos jedes gesellschaftliche Problem mit Migration zu verknüpfen oder zu begründen“, sagt Petry heute. Klar ist: Sie und ihr Mann werden 2019 ihr blaues Wunder erleben. Die Frage ist, ob dieses Wortspiel positiv oder negativ gemeint sein wird.