Koalitionskrise

Die provozierte SPD

von Redaktion

Von G. Ismar, A.-B. Clasmann, S. Karowski und M. Heim

Berlin/München – Horst Seehofer zuckt mit den Schultern, als er auf Gunther Adler angesprochen wird. „Er ist jetzt halt Opfer.“ Nur: Was lapidar klingt, stürzt die Große Koalition ins nächste Chaos. Denn um die von vielen in der SPD empfundene Demütigung komplett zu machen, wird für die Beförderung des bisherigen Verfassungsschutzpräsidenten Hans-Georg Maaßen zum Staatssekretär ein SPD-Mann mit 55 Jahren in den einstweiligen Ruhestand versetzt. Es trifft ausgerechnet Adler, den von Seehofer stets gelobten Staatssekretär für den Bereich Bauen.

„Alle Folgeprobleme sind gestern bekannt gewesen und besprochen worden“, sagt Seehofer am Mittwoch trocken. Also auch der SPD-Vorsitzenden Andrea Nahles. Die hat nun ein großes Problem. Sie und – Berichten zufolge – Kanzlerin Angela Merkel (CDU) wollten die Ablösung Maaßens nach dessen irreführenden Aussagen zu Chemnitz. Merkel teilte am Mittwochabend in Salzburg mit, dass das Vertrauen in Maaßen „in Teilen der Koalition nicht gegeben“ war. Besonders die SPD fürchtete, dass Maaßen es mit dem Kampf gegen rechtsextreme Tendenzen im Land nicht ernst genug nehme.

Nun also die Personalrochade, im Zuge derer in Seehofers mit neun Staatssekretären ohnehin stattlich ausgestattetem Ministerium blöderweise der einzige mit SPD-Parteibuch weichen muss. Und das, obwohl Adler in der Bau- und Immobilienszene als geschätzter Experte gilt – der die Regierung am Freitag bei einem groß angekündigten „Wohngipfel“ vertreten soll(te). „Seehofer löst ein weiteres Desaster aus. Diesmal betrifft es eine der drängendsten Fragen, mit der wir es auf allen Ebenen zu tun haben: Bauen und Wohnen“, sagt Ex-Ministerin Barbara Hendricks (SPD), in der vergangenen GroKo für Bauen zuständig. Mit Blick auf Adler machte Merkel am Mittwoch aber deutlich, dass dieser „sehr schnell“ eine „angemessene Position“ bekommen solle.

Die Folgen des Krisentreffens vom Dienstag haben es dennoch in sich. Auf der einen Seite: Kanzlerin Merkel, die eine Beförderung schlucken muss, durch die das Ansehen der Großen Koalition weiter erschüttert wird. Auf der anderen Seite: die intern nun heftig kritisierte SPD-Chefin Nahles, von Seehofer ausgetrickst. Machtpolitik pur.

„Desaster“, befindet SPD-Vize Ralf Stegner. Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius sagt: „Das ist eine Provokation ersten Ranges. Mir reicht’s langsam.“ Seehofer zeige der Kanzlerin, der SPD und der gesamten Öffentlichkeit „den Mittelfinger“, so Juso-Chef Kevin Kühnert. Dem CSU-Politiker gehe es schon lange nicht mehr um fachliche Kriterien, „sondern nur noch um Machterhalt und maximalen Schaden an seiner Erzfeindin Merkel“.

Kühnert stellt nun offen die Koalition infrage – genau wie Münchens Oberbürgermeister. Dieter Reiter erklärt am Mittwoch gegenüber unserer Zeitung: „Ich bin fassungslos.“ Die Beförderung Maaßens sei ein „Bärendienst für die Glaubwürdigkeit der Politik“. Und: „Da frage ich mich ernsthaft: Welchen Sinn hat der Verbleib der SPD in seiner solchen Bundesregierung?“

Später am Tag äußert sich auch Nahles in einem Brief an die Mitglieder. Zentrale Aussage: „Leider war Horst Seehofer nur unter der Bedingung zu einer Ablösung von Herrn Maaßen zu bewegen, dass er ihn als Staatssekretär in sein Innenministerium holt“. Nahles’ Fazit: „Das müssen wir aushalten“ – und die Regierung nicht platzen lassen.

Derweil fordert die Bayern- SPD die Bundesminister der Partei auf, Maaßens Beförderung im Kabinett zu stoppen. In einem Brief von Landeschefin Natascha Kohnen an Nahles, der unserer Zeitung vorliegt, heißt es: Die Beförderung sei „in der Sache ein schwerer Fehler, politisch nicht nachvollziehbar und nirgendwo vermittelbar“. Es entstehe der Eindruck, „dass wir für jeden Unsinn aus Angst von Alternativen die Hand reichen“. Kohnen wiederholt auch ihre Einschätzung, dass Seehofer als Innenminister nicht mehr tragbar sei.

Gelegenheit für eine persönliche Diskussion der Genossen liefert bereits dieser Donnerstag. Im Landtag treffen die bayerischen SPD-Abgeordneten ihre Kollegen aus dem Bundestag.

Übrigens: Laut einem Bericht der „Welt“ war sogar CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer irritiert über Maaßens Beförderung. Sie wird mit dem Satz „Ich habe es erst auch nicht glauben können“ zitiert.

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