Berlin/München – Da sitzen sie, Seit’ an Seit’. Als wäre nichts gewesen. Deutschland wird regiert. Die Kanzlerin, der Innen- und Bauminister, der Finanzminister: Harmonie. „Wir wollen eine große Kraftanstrengung unternehmen, um unser Ziel von mehr Wohnungen zu erreichen“, sagt Kanzlerin Angela Merkel (CDU). Er sei dankbar, dass es nun ein großes Maßnahmenpaket gebe, sagt Innenminister Horst Seehofer (CSU). Dankbar „auch Ihnen, Frau Bundeskanzlerin“, sagt Seehofer.
Er atmet tief aus. Merkel und Seehofer: Der große Aufruhr bei der SPD verdeckt ja ein wenig, dass diese seltsame Machtarithmetik in der Großen Koalition mit zwei über Kreuz liegenden Vorsitzenden von CDU und CSU das Regieren so schwer und die Krisen so zahlreich macht.
Der Fall des Verfassungsschutzpräsidenten Hans-Georg Maaßen sucht seinesgleichen in der Bundesrepublik. Ein Koalitionspartner wollte den Rauswurf, der andere stimmte zu, beförderte ihn aber zugleich.
SPD-Chefin Andrea Nahles kämpft sich in Bayern durch Wahlkampftermine, um ein Debakel bei der Wahl am 14. Oktober abzuwenden, abends zuvor gab es eine Krisensitzung im Willy-Brandt-Haus. Die Basis ist auf den Barrikaden. Aber was tun? Nahles kämpft jetzt auch um ihren Job.
Das Ergebnis des SPD-Krisentreffens: Nahles schreibt einen Brief an die „sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin“ und den „sehr geehrten Herr Seehofer“, der am Freitagnachmittag in Berlin alles zurück auf Anfang setzt. Sie zieht ihre Zustimmung zum Maaßen-Deal zurück. Intern wird Nahles das hoch angerechnet – so einen Schritt zu gehen, verdiene Respekt.
Auch für die SPD-Vizin und bayerische Spitzenkandidatin Natascha Kohnen eine richtige Kehrtwendung: „Horst Seehofer hat mit der Entscheidung, Maaßen für dessen Fehlverhalten auch noch zu befördern, die Regierung in eine schwierige Lage gebracht. Ich habe direkt nach dieser Entscheidung erklärt, dass sie nicht vermittelbar ist und korrigiert werden muss. Ich bin froh, dass wir als SPD nun gemeinsam zu dem Entschluss gelangt sind, dies zu tun“, sagte sie unserer Zeitung.
Und ohnehin gehe das ganze Problem von „zwei eitlen Herren“ aus, Seehofer und Maaßen – wenn Letzterer von sich aus zurückgezogen hätte, wäre daraus nicht so eine Regierungskrise geworden, hieß es.
„Die durchweg negativen Reaktionen aus der Bevölkerung zeigen, dass wir uns geirrt haben“, schreibt Nahles. „Wir haben Vertrauen verloren, statt es wiederherzustellen. Das sollte Anlass für uns gemeinsam sein, innezuhalten und die Verabredung zu überdenken.“
Seehofer zeigt sich kurz nach Bekanntwerden des Briefes offen für eine Neuverhandlung. Und wenig später stimmt auch Merkel einem Neustart zu. Sie kündigt am Abend sogar an, schon „im Laufe des Wochenendes“ eine „gemeinsame, tragfähige Lösung“ finden zu wollen.
Als klar ist, dass neu verhandelt wird, tritt Nahles in Würzburg vor die Kameras: „Wir haben uns alle drei geirrt. Wir haben nicht Vertrauen geschaffen, wir haben Vertrauen verloren.“ Nahles hatte sich zuvor im Fall des Verfassungsschutzchefs verzockt: „Maaßen muss gehen und er wird gehen“, gab sie tagelang als Parole aus.
Die SPD sah bei ihm eine gewisse AfD-Nähe und mangelhaften Einsatz gegen Rechtsextremismus – während Seehofer betonte, auf Maaßens Expertise im Kampf gegen den Terrorismus nicht verzichten zu wollen. Er stützte ihn, anders als Nahles und Merkel, nachdem Maaßen Merkel öffentlich widersprochen hatte: Es gebe keine belastbaren Hinweise darauf, dass es nach dem Mord an einem Deutschen in Chemnitz Hetzjagden auf Ausländer gegeben habe, sagte Maaßen.
Auf Wunsch Seehofers wurde Maaßen sogar befördert. Maaßen soll statt 11 577 Euro als Verfassungsschutzpräsident (Stufe B9) künftig als Innen-Staatssekretär 14 157 Euro (B11) im Monat bekommen. Mit seiner eigenwilligen Entscheidung brachte Seehofer aber die SPD in schwere Turbulenzen – und spaltete die Koalition. Die Quittung der jüngsten Turbulenzen: Die Union kommt im neuen ARD-„Deutschlandtrend“ nur noch auf 28 Prozent, der schlechteste je hier ermittelte Wert für sie. Und die AfD hat die SPD überholt: Erstmals 18 Prozent für die Alternative für Deutschland, nur noch 17 Prozent für die älteste deutsche Partei.
Am Montag kommt der 45-köpfige SPD-Vorstand zusammen, da gilt es, erst einmal mit dem Neustart Druck aus dem Kessel zu nehmen.