Rom – Wer wissen will, wie Italiens Regierung aus rechten Ultras und europakritischen Populisten tickt, dem kann die folgende Schlüsselszene Auskunft geben: Der neue Regierungssprecher Rocco Casalino gilt als schillernde Figur. Bekannt wurde der in Deutschland geborene Moderator seichter Talkshows als Teilnehmer der Italo-Version von „Big Brother“. Innerhalb des Fünf-Sterne-Bewegung stieg er, berüchtigt für harsche und vulgäre Töne, zum Pressesprecher auf. Seit Mai ist Casalino nun Kommunikationschef von Premier Giuseppe Conte.
In Contes Umfeld verdächtigt man den parteilosen und als besonnen geltenden Finanzminister Giovanni Tria, sich von der Brüsseler Kommission am Gängelband führen zu lassen. Tria weigert sich bislang standhaft, im Haushalt (dem ersten der neuen Koalition) die EU-Defizitgrenze zu erhöhen. Das führte zu einem Wutausbruch Casalinos. „Die Typen sollen gefälligst das Geld locker machen, sonst jagen wir dieses Pack zum Teufel. Diese Technokraten werden sich doch noch irgendwo verdammte zehn Milliarden aus den Rippen leiern“, wetterte er in einem heimlich aufgezeichneten Anruf und drohte den verantwortlichen Spitzenbeamten im Finanzministerium mit einer „Mega-Vendetta“ Fürchterliche Rache.
Der Audio-Mitschnitt sorgte für einen Shitstorm in den sozialen Netzwerken. Die Opposition zeigte sich empört, der Quirinal (Dienstsitz des Präsidenten) besorgt. Es sei inakzeptabel, dass ein Regierungssprecher versuche, das parlamentarische Prozedere durch wüste Drohungen auszuhebeln, erklärte etwa der Chef des Partito Democratico, Maurizio Martina, und forderte den Rauswurf Casalinos. Premier Conte stellte sich jedoch vor seinen Sprecher.
Die Episode zeigt: Innerhalb der Regierung liegen bereits nach sechs Monaten die Nerven blank. Zu groß ist der Druck, den teils unerfüllbaren Wahlkampfversprechen konkrete Taten folgen zu lassen. Besonders schmerzhaft trifft das die populistischen Grillini, deren größter Wahlkampfhit in der Einführung eines „solidarischen Bürgereinkommens“ für Sozialschwache bestand. Während Lega-Chef Matteo Salvini als Innenminister einen großen Aktionsradius besitzt und viele populäre Entscheidungen, etwa bei der Eindämmung der Immigration, treffen kann, hängt die Einführung des Bürgergeldes von den komplizierten gesetzlichen Beratungen über das Budget ab. 780 Euro pro Monat sollen nach den Plänen von Wirtschaftsminister di Maio rund fünf Millionen sozial schwache Personen erhalten. Geringverdiener, Langzeitarbeitslose, Empfänger kleiner Renten oder einkommenslose Alleinerziehende.
Dass die Lega zeitgleich die Einführung ihrer vielgepriesenen „Flat Tax“ fordert, eines einheitlich niedrigen Steuersatzes für Privateinkommen und Gewerbe, macht die Erarbeitung des Haushalts zu einer Quadratur des Kreises. Und das im EU-Land mit der höchsten Staatsverschuldung.
Am Regierungssitz Palazzo Chigi jagt nun ein Treffen das andere. Premier Conte versucht, die Wogen zu glätten. Gestern traf er sich mit den Spitzenbeamten von Finanzministerium und Rechnungshof, und beschwor die gute Zusammenarbeit. Sein Vize di Maio schoss auf Twitter quer: „Ich traue den Technokraten rund um Tria nicht; ich werde alles bis auf den letzten Cent nachrechnen.“
Mit der EU-Kommission ist der Konflikt bereits programmiert. Vor wenigen Tagen schickte sogar der sonst eher zurückhaltende Präsident der EZB, Mario Draghi, eine deutliche Botschaft nach Rom: Man beobachte die Situation sehr genau. Draghi sprach dabei entgegen aller Gewohnheit nicht auf Englisch, sondern in seiner Muttersprache: Damit seine Warnung in Rom nur ja verstanden werde. Ingo-Michael Feth