Bundestag

Revolte in der Unionsfraktion

von Redaktion

Jörg Blank, Ruppert Mayr und Mike Schier

Berlin/München – Es ist ein Signal des Zorns, nicht nur für Volker Kauder, sondern auch für Angela Merkel. Eine Art Revolte. Mehrfach hat die Kanzlerin vor der Kampfabstimmung um den Fraktionsvorsitz für ihren Vertrauten geworben, zuletzt direkt vor der Wahl. Auch CSU-Chef Horst Seehofer und der CSU-Landesgruppenvorsitzende Alexander Dobrindt werfen sich für Kauder in die Bresche – auch am Montagabend noch einmal, als die Landesgruppe beisammensitzt. Doch als am Dienstag gegen 16.45 Uhr bekannt wird, dass der 69-Jährige mit 112 zu 125 Stimmen in einer Kampfkandidatur gegen seinen Stellvertreter und Herausforderer Ralph Brinkhaus verloren hat, ist die Sensation perfekt. Und es ist klar: Die Abgeordneten dürften auch direkt auf Merkel gezielt haben.

Was nun, Frau Merkel? Als sie um 15.02 Uhr in den Fraktionssaal kommt, bekommt Seehofer, ihr ewiger Quälgeist, eine ausführliche Begrüßung – es gibt viel zu besprechen zur Zeit. Zeitgleich sind im Saal schon geraunte Hiobsbotschaften für Kauder zu hören. „50 zu 50“ stehe es vor der Kampfabstimmung Kauder – Brinkhaus. Manche waren sich sogar sicher: „Brinkhaus wird gewinnen.“ So kommt es dann ja auch.

Als Dobrindt, der die Wahl geleitet hat, gegen 17 Uhr mit Brinkhaus vor den Fraktionssaal tritt, versuchen beide, Normalität zu verbreiten. Wie nach einer demokratischen Wahl eben. Dobrindt sagt fast überschwänglich: „Ich gratuliere dir ausdrücklich, Ralph. Ich freue mich auf die gute Zusammenarbeit für die Zukunft.“ Der Fraktionsvorsitz sei ja „ein herausforderndes Amt. Du hast dich im vollen Bewusstsein für dieses Amt beworben und das Vertrauen der Fraktion heute erhalten.“

Die Fraktion habe Kauder mit einem langen Applaus „für seine herausragende Arbeit der letzten 13 Jahre gedankt“, sagt Dobrindt noch. Gemeinsam wolle man die „gute Arbeit zwischen CDU und CSU“ in der Fraktion fortsetzen, ergänzt er Richtung Brinkhaus. Auch das ist ein Signal: Nicht immer war nach der Hochphase der Flüchtlingskrise das Verhältnis zwischen CDU und CSU in der Fraktion gut. Im Streit über die Migrationspolitik der Kanzlerin hatte es sogar mal eine getrennte Sitzung beider Fraktionsteile gegeben.

Brinkhaus zeigt sich dann ohne Triumph, sagt nüchtern: „Ich freue mich riesig über das Wahlergebnis.“ Nun gehe es darum, schnell wieder an die Arbeit zu kommen. Die Fraktion habe anspruchsvolle Projekte vor sich, ergänzt er noch, bevor er in den Saal zurückgeht. Auch für Kauder hat Brinkhaus noch ein gutes Wort: Vor dessen Leistung habe er großen Respekt. Der lang anhaltende Beifall für seinen Vorgänger in der Fraktion habe auch gezeigt, welch hohes Ansehen Kauder genieße.

Dem Amtsinhaber war die Nervosität schon vor der Sitzung anzusehen, sein Lächeln kann den auf ihm lastenden Druck nicht überspielen. Kauder setzt die Brille ab, kaut auf dem Bügel, dann setzt er sie wieder auf. Da hilft auch kaum, dass Seehofer ihn freundschaftlich begrüßt. Ob es für Kauder am Ende hilfreich war, dass sich auch der umstrittene Bundesinnenminister öffentlich für ihn ausgesprochen hat?

Auch das wird in der Union als geschickter Schachzug von Brinkhaus gewertet: Während der gefühlt ewige Vorsitzende Kauder vorne hinter der Fraktionsbank herumtigert, kann der Herausforderer unter den Kollegen bis zur letzten Minute noch das „Wir-Gefühl“ demonstrieren. Auch mit diesem Argument hatte Brinkhaus seine Kandidatur begründet. Die Rede, die er gestern hält, sei „sehr stark“ gewesen, heißt es später. Kauder habe nicht überzeugt.

Viele seiner Stimmen kommen auch aus der CSU, gerade von den Jüngeren. Brinkhaus stehe „für Aufbruch und ein neues Miteinander“, sagt der Münchner Wolfgang Stefinger. Ähnlich sieht es der Erdinger Andreas Lenz. Offen sagt er, es handle sich um „ein deutliches Zeichen an Kanzlerin Angela Merkel“. Doch auch Seehofer und Dobrindt sind mit diesem Ergebnis geschwächt. In München wird Seehofer als Parteichef immer offener infrage gestellt. Bislang will man die Landtagswahl für die Abrechnung abwarten. Doch mit jeder neuen Berliner Pleite wächst der Unmut.

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