Als der türkische Staatspräsident darauf bestand, seinen Besuch in Deutschland partout am 27. September zu beginnen, träumte man in Ankara noch vom ganz großen Coup. Davon, dass Erdogan als an diesem Tag frischgebackener Ausrichter der Fußball-EM 2024 zur Kanzlerin reisen würde. Die Sache ist dann ein bisschen anders gelaufen. Der größte Triumphzug seit Julius Cäsar fiel aus. Wer nun freilich glaubt, die EM-Pleite und die heimische Finanzkrise würden Erdogan ein wenig Bescheidenheit lehren, sieht sich getäuscht. Schon beim gestrigen Auftritt mit Angela Merkel in Berlin war er ganz der Alte: dozierend, fordernd, großspurig. Seinen Anhängern hatte er zuvor komplizenhaft den Islamistengruß gezeigt.
Dabei steht aus Erdogans Sicht der eigentliche Höhepunkt seiner Deutschland-Reise erst an diesem Samstag bevor. In Köln-Ehrenfeld wird der Sultan Deutschlands größte Moschee eröffnen. Fast alle Vertreter der deutschen Politik und Zivilgesellschaft haben ihre Teilnahme abgesagt, inklusive des Architekten und der Kölner Oberbürgermeisterin, die dem türkischen Muslim-Verband Ditib als Bauherrin bisher nahezu jeden Wunsch von den Lippen abgelesen hatte. Erst spät reifte die Erkenntnis, dass man Erdogan wieder auf den Leim gegangen ist: Nicht um die deutsch-türkische Freundschaft soll es heute gehen, nicht um Religionsfreiheit oder gar darum, den Gastgebern zu danken (über deren Rolle bei der Eröffnung sich die Ditib bis zuletzt ausschwieg). Sondern einzig und allein um die Erhöhung Erdogans und seinen Machtanspruch über 3,5 Millionen Deutschtürken.
Sie will der Präsident von ihrem Gastland entfremden, so wie vor zehn Jahren in der Köln-Arena. Weil er sie nur so als Druckmittel einsetzen kann, um die Bundesregierung für seine Ziele gefügig zu machen. Es grenzt an Selbstverleugnung, wie Berlin dem Despoten vom Bosporus, der zehntausende Gegner in Verliese werfen lässt, drei Tage lang den roten Teppich ausrollt. Den höchsten Preis aber zahlen die Deutschtürken selbst. Dank der beharrlichen Bemühungen Erdogans kommen viele von ihnen nie in ihrer neuen Heimat an. Die von ihnen verspielten Aufstiegschancen nutzen andere Migranten.
Georg Anastasiadis
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