Birmingham – An diesem Sonntag kommen die britischen Konservativen zu ihrem viertägigen Parteitag in Birmingham zusammen. Premierministerin Theresa May dürfte mit heftigem Magengrimmen anreisen. Sechs Monate vor dem EU-Austritt des Landes will sie ihre angeschlagene Position festigen. Doch das ist leichter gesagt als getan. Ihre Brexit-Pläne werden nicht nur von der Opposition und den Verhandlungspartnern in der EU abgelehnt, sondern treffen auf massiven Widerstand in den eigenen Reihen. Trotzdem will sie daran festhalten. Sie wird wohl versuchen, die Aufmerksamkeit auf andere Themen zu lenken.
Bei May, die am Montag ihren 62. Geburtstag feiert, dürften schmerzhafte Erinnerungen an den Parteikonvent 2017 in Manchester wach werden. Damals sollte ihre Rede zum Befreiungsschlag werden, doch sie geriet zum Fiasko: Zuerst konnte sie vor Hustenanfällen kaum sprechen, dann überreichte ihr ein Komiker ein Entlassungsschreiben, angeblich im Namen des damaligen Außenministers Boris Johnson. Zu guter Letzt fielen hinter ihr auch noch die Buchstaben des Parteitagsmottos von der Wand.
In diesem Jahr wird es keinen Komiker brauchen, der die Begehrlichkeiten Johnsons auf das Amt der Regierungschefin bloßstellt. Bereits am Freitag griff er May mit einem 4500 Worte langen Gastbeitrag im „Daily Telegraph“ scharf an und legte gleichzeitig einen alternativen Plan für den Brexit vor (siehe Kasten).
Sollte dieser Parteitag so katastrophal enden wie der vergangene, hält der Politikwissenschaftler Anand Menon vom King’s College in London einen Sturz Mays für möglich. Die Chancen für Johnson, sie abzulösen, schätzt er aber nicht allzu hoch ein. „Ich glaube, es wird sehr schwierig für ihn.“ Der Ex-Außenminister habe möglicherweise nicht ausreichend Unterstützung in der Fraktion, zudem gäbe es zunehmend Druck für einen Generationenwechsel.
Johnson und auch Ex-Brexit-Minister David Davis hatten im Juli im Streit um Mays Brexit-Pläne hingeschmissen. Sie fordern einen klaren Bruch mit Brüssel. Mays sogenannter Chequers-Deal sieht eine Freihandelszone mit der EU für Waren, aber nicht für Dienstleistungen wie Bankgeschäfte vor. Dafür soll sich Großbritannien eng an Produktstandards und andere Regeln des europäischen Binnenmarkts halten. Zollkontrollen am Ärmelkanal und an der Grenze zwischen dem britischen Nordirland und EU-Mitglied Irland sollen durch ein kompliziertes System verhindert werden. Die Frage nach einer irischen Grenze und die Furcht vor einem Wiederaufflammen des Konflikts in der ehemaligen Bürgerkriegsregion gelten als schwierigste Stolpersteine bei den Austrittsverhandlungen.
Johnson bezeichnete Mays bisherige Pläne in seinem Zeitungsbeitrag am Freitag als „moralische und intellektuelle Erniedrigung“ und bescheinigte ihr eine „rückgratlose“ Verhandlungsführung. May muss sich auf weitere Angriffe gefasst machen. Johnson dürfte auch seine wöchentliche Kolumne am Montag nutzen, um sie zu attackieren. Am Dienstag, einen Tag vor der Abschlussrede der Premierministerin, hat Johnson seinen Auftritt auf dem Parteitag. Der ehrgeizige Blondschopf ist nicht der Einzige, den May zu fürchten hat. Auch der einflussreiche Hinterbänkler Jacob Rees-Mogg und andere wollen sie zum Einlenken zwingen. Sie haben eigenen Angaben zufolge bis zu 80 beinharte Brexit-Anhänger in der Fraktion hinter sich.
Bei einem informellen EU-Gipfel in Salzburg vor gut einer Woche wollte sich May eigentlich für den internen Machtkampf stärken. Sie spekulierte auf warme Worte der 27 Staats- und Regierungschefs für ihre Austrittspläne. Doch daraus wurde nichts. Sie wurde regelrecht abgewatscht, ihre Pläne als Rosinenpicken verworfen. May reagierte verärgert, warf der EU Respektlosigkeit vor. Ändern will sie ihren Kurs nicht.
Doch sie steckt in der Klemme. Am 29. März 2019 verlässt Großbritannien die EU. Sollte bis dahin kein Abkommen stehen, droht ein chaotischer Austritt mit fatalen Folgen für die Wirtschaft und Chaos in vielen Lebensbereichen. Bis zum nächsten EU-Gipfel im Oktober soll eine Einigung mit Brüssel her.
Doch selbst wenn das gelänge, ist bisher nicht abzusehen, wie May die Zustimmung des Parlaments dafür bekommen soll. Seit der vorgezogenen Neuwahl im vergangenen Jahr verfügt sie nur noch über eine hauchdünne Mehrheit. Auf die Unterstützung der Opposition kann sie sich nicht verlassen.